Morgen werde sein Vater kommen, sagt der 11-jährige Sima (Sima Mickenson) zu dem ein Jahr älteren Vitaleme (Jules Vitaleme): „Dann werde ich ein richtiges Bett haben.“ Keine schäbige Liege wie die in dem Waisenheim in Port-au-Prince, aus dem Vitaleme fliehen will; wenn es sein muss auch ohne Sima, der immer auf morgen wartet. Doch dieses mal kommt kein Morgen. Stattdessen geht ein Beben durch Haitis Hauptstadt und die Jungen, die sich in Jonas D’Adeskys spärlicher Lebensskizze eine neue Existenz aufbauen wollen.
Das städtische Treiben geht zwischen Schutt, Ruinen und Abrissbauten weiter als wäre es kaum aus der Bahn geraten. Erst bei genauem Hinsehen enthüllen sich tiefe Risse, die nach der Katastrophe die Menschen spalten: in die Person, die sie in zuvor waren und die, die sie jetzt sind. Die naturalistischen Szenen sind aus dem Leben gegriffen wie die jungen Darsteller, die der belgische Regisseur und Drehbuchautor für sein Spielfilmdebüt in Port-au-Prince fand. Als die dokumentarische Kamera Vitaleme und Sima auf dessen gedrängten Straßen wiedertrifft, ist Pierre (Pierre Jean Mary) zu ihnen gestoßen. Er ist genauso alt wie Sima und genauso verunsichert durch die Entschlossenheit Vitalemes, der von Erinnerungen an die Zeit als Hausdiener seines brutalen Onkels verfolgt wird. Dialoge und Nebenhandlungen beschwören wiederholt die prägenden Ereignisse, die niemals konkrete Form annehmen. Die Vergangenheit des Protagonisten-Trios bleibt bruchstückhaft, wie seine Gegenwart, als habe das Erdbeben mit mit jeder durchgehenden Struktur auch die der Handlung zerstört. Was bleibt ist ein Mosaik teils improvisierter Episoden, das dank seiner Laiendarsteller und der authentischen Kulisse trotz der Unvollständigkeit spannend bleibt.
- OT: Twa Timoun
- Regie: Jonas D’Adesky
- Drehbuch: Jonas D’Adesky
- Produktionsland: Belgien, Haiti
- Jahr: 2012
- Laufzeit: 85 min.
- Cast: Pierre Jean Mary, Sima Mickenson, Jules Vitaleme
- Beitragsbild © Berlinale