„Es war einmal…“, beginnt unausweichlich Disneys Realfilm-Adaption des eigenen Zeichentrickklassikers von 1950. Der gewann damals auf der ersten Berlinale den ersten Goldenen Bären, den einzigen für einen Animationsfilmen bis 2001 Chihiros Reise ins Zauberland einen errang. Eine bessere Ausrede, die fluffige Fantasy-Romanze in den Wettbewerb zu packen, hätten sich die Film-Selektoren kaum wünschen können.
Wie das Märchen weiter geht, wissen alle: „Es war einmal ein kleines Mädchen, das sah die Welt nicht so wie sie wirklich war, sondern mit ein klein wenig Magie.“ Naja, nicht ganz so wenig Magie. Eigentlich eher viel. So richtig viel Magie: eine ganze Ladung. Und „Magie“ meint bei den Disney Studios die hauseigene Mischung aus Kitsch, Konservativismus und Kommerzialismus. In gewisser Hinsicht ist Kenneth Branagh dafür der ideale Regisseur. Er versteht sein Fach, aber ist darin eben ein Kunsthandwerker, kein Künstler, der dem leicht erkennbaren Disney-Stil mit einem eigenen überdecken könnte. Der Unterhaltungswert seines Werks liegt somit darin, der namhaften Darsteller-Riege zuzuschauen. Derek Jacobi (der König), Ben Chaplin (Cinderellas Vater), Holiday Grainger (Stiefschwester Anastasia) und Stellan Skarsgard (als taktierender Grand Duke) hauchen den eindimensionalen Figuren aller erzählerischen Verkrampftheit zum Trotz etwas Leben ein. Am Besten gelingt dies Cate Blanchett, die als durchtriebene Lady Tremaine mit ihren eitlen Töchtern Drizella (Sophie McShera) und Anastasia den Platz von Ellas verstorbener Mutter (Hayley Atwell) einnimmt. Die herzensgute Heldin (Lily James) macht gute Miene zum bösen Spiel, das mit Spitzfindigkeiten beginnt und nach dem ruinösen Tod von Ellas Vater in ihrer Degradierung zur Küchenmagd gipfelt. Als „Cinder-Ella“ verspottet ist sie nun namentlich die Titelfigur, deren Trickfilm-Pendant sie optisch nachempfunden ist.
Der Verlust an Rang, den die Zeichentrickversion in wenigen Szenen zusammenfasst, interessiert Branagh mehr als Ellas Erlösung vom Dienstbotendasein durch eine vorteilhafte Heirat. Die sichern Ella Schönheit, ein Designerkleid von einer Guten Fee (Helena Bonham Carter) und ein durch deren Zauber garantierter spektakulärer Auftritt. Ihre Stiefverwandtschaft ist auf irdische Mittel angewiesen und die gehen aus. Das Geld wird knapp, Lady Tremaine nicht jünger und ihre Töchter sind auch nicht die attraktivsten. Unter diesen Umständen wirkt Ellas penetrante Unbeschwertheit gepaart mit gebetsmühlenartig gepriesener „Tapferkeit und Freundlichkeit“ wie die Traumtänzerei eines verwöhnten Kindes, dass von der harschen Realität keinen Schimmer hat. Anders ihre Stiefmutter, die in einer der wenigen originellen Szenen ihre Geschichte erzählt. Auch sie beginnt mit „Es war einmal…“, doch folgt hier auf die Liebesheirat der Tod des Gatten, materielle Not und eine Zweckehe mit Ellas Vater. Nach dessen Tod droht wiederum Verarmung, die nur eine erneute Zweckehe abwenden kann. Lady Tremaine handelt so berechnend wie sie muss, um allein mit ihren Töchtern durchzukommen. Ella hingegen wird von einem miserabel animierten CGI-Hirsch (Hirsch – Jäger – Bambi?) mit ihrem Prinzen (Richard Madden) verkuppelt.
Von letztem stammt auch die Frage, die indirekt den inszenatorischen Konventionalismus definiert: „Keine Überraschungen mehr?“ – „Keine Überraschungen mehr.“, verspricht Ella und Branagh stellt sicher, dass sie ihr Wort hält. Der verstaubte Paternalismus seines poppig-bunten Märchen-Movies entstammt nicht Charles Perraults literarischer Vorlage, sondern ist das Manko, an dem auch viele andere von Branaghs Bühnen und Romanadaptionen kranken. Mangelnde Innovation sollen Pomp und Prominenz kaschieren. Die Leinwand wird zum cinemeatischen Spielplatz, auf dem sich Kostümdesigner, Ausstatter und Akteure austoben dürfen. Entstehen inmitten dieses Übermaßes an Kitsch narrativ oder visuell interessantere Momente, so ist dies wohl eher ein drolliger Unfall ähnlich Ellas Bruchlandung mit der Kürbis-Kutsche. Wie sie einmal zu ihrem Vater sagt: „Ich liebe ein Happy End! Du nicht?“
- Beitragsbild © Walt Disney