Willkommen in der Hölle. So begrüßt der dubiose Dr. Sharda (Vinay Pathak) den sinn- und antwortsuchenden David (Morten Holst) oder meint der als Wegweiser durch Udita Bhargavas klischeeverklebten Szenarien führende Pappmaché-Schurken eher das Publikum? Das sitzt in einer Hölle, die mindestens so schrecklich ist wie die kalkuliert auf maximale Melodramatik getrimmten Szenarien. Es ist ein cineastischer Orkus greller Sensationslust, stereotyper Figuren, hölzernen Schauspiels und gespreizter Dialoge. „Zeit hat hier nicht die gleiche Bedeutung“, lautet einer. Nicht nur dieser Spruch tönt in Betracht der sich endlos hinziehenden 80-minütigen Laufzeit wie ein zynischer Witz.
Ist es aber augenscheinlich nicht. Die indischstämmige Regisseurin und Drehbuchautorin nimmt die Mixtur aus prätentiösem Psychologisieren, Slumming und Erlösermär bierernst. Diese selbstverliebte Gravitas verstärkt indes nur den Hang zu unfreiwilliger Satire. Letzte beginnt schon mit der Eröffnungssequenz, die den Hauptcharakter David als deutsches Pendant zu Captain Willard vorstellt. Nur erwacht David nicht in Vietnam, sondern Indien. Von dort kommt seine verstorbene Partnerin, die Fotografin Mumtaz (Amrita Bagchi). An sie erinnert ihn ein Foto, welches er stets bei sich trägt und gedankenvoll anstarrt. Wie das tragische Helden ebenso mit Fotos toter Geliebter machen.
Auch die Kamera fetischisiert den Schwarz-Weiß-Schnappschuss Marke Monochrome Photogramm Award meets BILD-Zeitung. Den abgebildeten Jungen will David unbedingt finden, wobei Dr. Sharda ihm helfen soll. Bevor Fragen zu Logik und Zusammenhängen überhandnehmen, macht der krude Plot einen Zeitsprung. Davon gibt es einige, die zuverlässig dann auftreten, wenn ein Handlungsstrang in eine Sackgasse manövriert hat. Das kommt regelmäßig vor, denn das larmoyante Melodram will gleich mehrere Geschichten erzählen: von Krishna (Golu Abu Bakr), dem Kind auf dem Foto, und Leihmutter Rhada (Kalyanee Mulay). Das kreative Potenzial indes reicht nichtmal für eine.
Ein weißer Deutscher irrt auf der Spur eines Jungen auf einem mysteriösen Foto durch Indien, dessen gesellschaftspolitisches Klima und Einzelschicksale sich mit Hilfe der Identifikationsfigur einer westlichen Zuschauerschaft erschließen sollen. Derartige plumpe dramaturgische Verrenkungen werfen ein enthüllendes Licht auf das mangelnde Vertrauen der Regisseurin in ihre Story. Diese strotzt vor rührseligen Klischees und holzschnittartige Figuren, geneigt, Vorurteile über den Schauplatz und dessen komplexe Sozialstrukturen eher zu verschärfen als aufzulösen.
- OT: Dust
- Regie: Udita Bhargava
- Drehbuch: Udita Bhargava
- Produktionsland: Deutschland, Indien
- Jahr: 2019
- Laufzeit: 80 min.
- Cast: Morten Holst, Vinay Pathak, Abu Bakr Golu, Kalyanee Mulay, Babita Goyal
- Beitragsbild © Berlinale / unafilm