Wenn Letizia Battaglia eines in ihrem Leben vermisst, sind es weitere Fotos – Fotos, die nicht existieren, weil die Fotografin und Reporterin sie nie gemacht hat. “Sie schmerzen mich am Meisten“, resümiert die furchtlose Frau hinter der Kamera und zugleich vor der Kim Longinottos. Die britische Regisseurin ist bekannt für ihre konzisen Filmgrafiken komplexer Frauenfiguren; Persönlichkeiten in Synergie mit sozialpolitischem Fortschritt. Von dem spürte die Protagonistin nichts während ihrer behüteten Kindheit, die nach der Zufallsbegegnung mit einem Perversen abrupt endete. Es folgten Jahrzehnte der Gefangenschaft, erst im Haus ihres paranoiden Vaters, dann in einer vorbestimmten Ehe und ununterbrochen im übergreifenden systempolitischen Gefängnis des Patriarchats.
Letztes wurde ein ähnlich verbissener Gegenspieler wie die Mafia für die entschlossene Protagonistin. Sie erlangte erst mit 40 private und berufliche Unabhängigkeit als Journalistin für D’Ora, wo sie statt trivialer Familienthemen Mafia-Morde ablichtete. Ihre brutaler Zeitdokumente fixieren Öffentlichkeit und Obrigkeit mit totenstarrem Blick oder Augen, ausgerissen in der Hand eines Mordopfers. Blutrünstige Archivaufnahmen stehen in kontrastivem Wechsel mit sentimentalen Filmszenen, deren Italien-Stereotypen lasziver Weiblichkeit und romantisierten Chauvinismus in sich zusammenstürzen wie Mafia-Größen schließlich unter der stummen photografischen Anklage einbrachen. Jetzt ist es Battaglia, die enthüllt: die Mafia, das Macho-System und die Machtstrukturen, gegen die sie sich bis heute behauptet.
- OT: Shooting the Mafia
- Regie: Kim Longinotto
- Drehbuch: Kim Longinotto
- Produktionsland: USA, Irland
- Jahr: 2019
- Laufzeit: 94 min.
- Cast: Letizia Battaglia
- Beitragsbild © Berlinale