Bittere Ironie, dass auf die Desillusionierung der Figuren über die ethischen Standards der Kirche wohl eine weitere über die ideologischen Prioritäten des Unterhaltungskinos folgt. Beide wären vermeidbar gewesen, doch die Prävalenz zu Manipulation und Ausnutzung ist nur eines der heiklen Themen, denen Francois Ozons aalglattes Prestigeprojekt ausweicht. Umso bedachter ist die Vermarktung der vor wenigen Jahren enttarnten Fälle kirchlichen Kindesmissbrauch und dessen Vertuschung auf die Inszenierung Ozons als unerschrockenen Enthüllungsregisseur. Als den sahen ihn angeblich die vorab interviewten Betroffenen: „Sie stellten sich einen Film in der Art von Spotlight vor, in dem sie zu fiktiven Charakteren verkörpert von berühmten Schauspielern würden.“
Immerhin das mit den fiktiven Charakteren hat geklappt. Während für die Priesterfiguren die Namen der echten Täter übernommen wurden, tragen die Opfer erfundene. Beide Parteien eint auf der Leinwand das hohe Maß an Stereotypisierung, die praktisch jede Reaktion absehbar macht. Selbst für die Darstellung, konkreter: Nicht-Darstellung der Taten flüchtet sich der Regisseur zu den abgegriffensten Klischees von Verbrechen hinter verschlossenen Türen. Jedes Gespür für die psychologische Verwundbarkeit von Kindern fehlt der plumpen Inszenierung, die sensationslüstern mit Phantasien von Sünde und Lust im Hause Gottes kokettiert. Alexandre (Melvil Poupaud), Francois (Denis Menochet) und Emmanuel (Swann Arlaud) reifen nie zu organischen Individuen.
Eher verkörpern sie exemplarisch Gesellschaftsklassen, die wiederum mit bestimmten Familiensituationen und Geisteshaltungen assoziiert werden. Drängende sozialpolitische Fragen zur Verbreitung, Festigung und generationsübergreifenden Weitergabe religiöser Dogmen werden konsequent ausgeblendet. Paradoxerweise ist Verschwiegenheit das prägende Merkmal des ängstlich-überforderten Konglomerats aus Genreversatzstücken. Würden die willkürlichen Schlenker zu Krimi, Seifenoper und Psychodrama der behäbigen Handlung wenigstens Schwung geben! Doch erdrückt von Figurenüberzahl und Dialoglast schleppt sich die Story dahin, ohne einen Hauch der Spannung und Dramatik, für die sie prädestiniert ist. Die rührselige Patina und der spekulative Zitat-Titel bestätigen zusätzlich die eigentliche Motivation des darstellerisch mediokren und visuell zutiefst konventionellen Werks: kommerzielles Kalkül.
Angespornt durch den Erfolg US-amerikanischer Vorbilder und sein Faible für pathetische Männerfiguren schlachtet Francois Ozon den jungen Fall gedeckter Pädophilie in der katholischen Kirche aus. Fabriziert hat er das filmische Äquivalent eines schlechten Klatschzeitungsartikels: Verstaubte Bilder voll visueller Klischees, eine schleppende Handlung, die nicht gezeigt, sondern in endlosen Brieftexten heruntergebetet wird, und eine verkappte Religionsbotschaft, die das Leid der Protagonisten zur göttlichen Prüfung wahrer Glaubensfestigkeit stilisiert. Aber hey, wichtiges Thema, da werden ein paar schon anbeißen.
- OT: Grâce à Dieu
- Regie: François Ozon
- Drehbuch: François Ozon
- Produktionsland: Frankreich, Belgien
- Jahr: 2019
- Laufzeit: 137 min.
- Cast: Melvil Poupaud, Denis Menochet, Swann Arlaud, Josiane Balasko, Frédéric Pierrot, Eric Caravaca, Hélène Vincent, Bernard Verley, François Marthouret, François Chattot, Aurélia Petit, Jules Gauzelin, John Sehil, Éric Gigout, Olivier Faliez
- Beitragsbild © Berlinale