Pressehefte lügen. Auf Festivals ist das besonders schlimm. Lügen die Pressehefte nicht, dann meistens, weil es keine gibt; höchstens ein halbseitig bedrucktes Infoblatt voller hohler Floskeln. Die haben es ebenfalls nicht mit der Wahrheit. Beispiel? In Inhaltsangabe zu Mateo Bendeskys zweitem Spielfilm steht: „Am Ende ist nichts mehr wie es war.“ Wer immer das schrieb, hat das monotone Dramolette nicht gesehen – oder ist dabei eingeschlafen. Das widerfuhr zahlreichen der Anwesenden, die den Beitrag zum Berlinale Panorama durchsaßen bis zu besagtem Ende. Das erlöst nach 86 Minuten, die sich wie Stunden anfühlen. Denn der Plot ist mindestens so antriebsarm wie die Figuren.
Die relevantesten von ihnen sind Lucas (Tomás Wicz) und Gilda (Laila Maltz). Wobei, nein, selbst das Geschwisterpaar ist an sich irrelevant, aber es steht nunmal im Mittelpunkt des Szenarios. Das verortet Bendesky in einen öden Badeort, wo die Saison entweder vorbei ist oder nie Saison war. Auch der jugendliche Luca und seine ältere Schwester wollen dort nicht hinfahren, aber fühlen sich genötigt, den letzten Wunsch ihrer verstorbenen Mutter zu erfüllen und ihre Asche ins Meer zu streuen. Zu dumm, dass sie die Asche nicht dabei haben. Warum sie dann überhaupt losgefahren sind? Niemand weiß es. Vermutlich, damit der Regisseur diesen Film drehen konnte.
Warum er das wollte? Weiß wieder keiner. Figuren und Handlung entwickeln sich kein Stück weiter. Weder ästhetisch noch philosophisch oder gar poetisch transportiert das Werk einen Mehrwert oder eine neue Erkenntnis. Alles steht still: die Narration, die Zeit (gefühlt) und aufgrund eines Streiks auch die Busse, weshalb die Geschwister aus dem Nirgendwo nicht mehr wegkommen. Vergraben unter tumben Episoden um Lucas’ Geplänkel mit der lokalen Sportskanone Pedro (Sergio Boris) und Gildas esoterischen Anwandlungen liegt hier ein abstrakter Horrorfilm. Aber Bendesky fehlt die Ambition, danach zu graben. So bleibt der einzige Horror der totale Stillstand aller Teilchen, der den Kinosaal fühlbar kälter werden lässt.
So viel Indifferenz und Apathie, wie das geist- und inhaltslose Familiendrama ausstrahlt, erntet es auch. Regisseur und Drehbuchautor Mateo Bendesky verpflanzt zwei denkbar ausdruckslose Gestalten in ein vollkommen reizloses Umfeld und wartet ab, ob etwas von Bedeutung oder Unterhaltungswert passiert. Spoiler: Tut es nicht. Das stupide Warten bis zum Abspann verkürzen weder originelle Dialoge, noch annehmbarer Soundtrack oder hübsche Bilder. Im Gegenteil scheint die Inszenierung, inklusive der unsympathischen Protagonisten, auf maximale Hässlichkeit abzuzielen. Am Ende ist noch alles genau so wie am Anfang. Wenn Inhaltsangabe und Pressetext das Gegenteil behaupten, glaubt ihnen nicht.
- OT: Los miembros de la familia
- Regie: Mateo Bendesky
- Drehbuch: Mateo Bendesky
- Produktionsland: Argentinien
- Jahr: 2019
- Laufzeit: 86 min.
- Cast: Sergio Boris, Edgardo Castro, Ofelia Fernández, Alejandro Russek, Tomás Wicz, Laila Maltz, Javier Abril Rotger
- Beitragsbild © Berlinale