Bette Davis empfand für King Vidors moralistisches Provinz-Drama – sicher nicht erst im Rückblick – nur Verachtung. Paradoxerweise forciert die berechtiget Geringschätzung die Glaubwürdigkeit ihrer (selbst)ironisch überspitzten Darstellung der unglücklichen Anti-Heldin. Konzipiert als Hass-Folie für ein puritanisches Publikum, ist die in einer frustrierenden Ehe mit einem kleingeistigen Dorfdoktor (Joseph Cotton) gefangene Rosa Moline zumindest aus heutiger Sicht einzige Sympathieträgerin inmitten eines Figurenensembles aus Heuchlern und Hinterwäldlern, deren Übergriffigkeit beunruhigend die politische Gegenwart spiegelt.
Die Stuart D. Engstrands gleichnamigem Pulproman entlehnte Story zeichnet mit einer Hayes-Code-Ära Mischung aus didaktischer Intoleranz, lüsternem Voyeurismus und sadistischer Häme Rosa als biblische Sünderin, die nur nicht Jezebel heißt, weil Davis den Rollennamen bereits verbraucht hatte. Die Inkarnation als spezifisch weiblich konnotierter Untugend plant ihren Ausbruch aus der intellektuellen und materiellen Enge, in der Ehegattinnen hausmütterliche Babymaschinen sind. Das Rosa mehr will und dieses Schicksal aktiv abwendet, gilt als Beweis ihrer Grundschlechtigkeit.
Immerhin brennt ihr Verlangen heiß wie das nahe gelegene Kraftwerk, das Vidor als metaphorischer Holzhammer dient. Doch im mantraartig beschworenen Chicago regiert die gleiche Doppelmoral. Selbst wenn melodramatische Moralkeule sie niederschlagen, triumphiert Rose inmitten verlogener Angepasstheit als einzig authentische Person. Ausnahme ist bezeichnenderweise das aufsäßige Hausmädchen Jenny (famos: Dona Drake). Deren auf rassistischer Diskriminierung basierende Stellung zeigt eine weitere Facette sozialer Unterdrückung. Sie wird zum unterschwelligen Hauptmotiv eines reißerischen Sittenstücks, dessen Bigotterie sich unabsichtlich entlarvt.
Ist die Wiederaufführung des Camp-Klassikers in der Berlinale Retrospektive eine Hommage an den diesjährigen Jury-Präsidenten Jeremy Irons, der Abtreibung zur Sünde erklärte? Mit seinem reaktionären Konzept weiblicher Verworfenheit, atavistischer Moral und repressiver Ideologie, inklusive Anti-Choice-Message, wirft King Vidors überspanntes Melodram ungewollt ein Schlaglicht auf die tödliche Ausweglosigkeit provinzieller Strukturen. Der vorrangig durch ein Zitat aus Who’s afraid of Virginia Woolf? bekannte Noir-Reißer wird zum bizarren Zeitdokument lange nicht überwundenen Bigotterie.
- OT: Beyond the Forest
- Regie: King Vidor
- Drehbuch: Lenore J. Coffee, Stuart D. Engstrand
- Produktionsland: USA
- Jahr: 1949
- Laufzeit: 97 min.
- Cast: Bette Davis, Joseph Cotten, David Brian, Ruth Roman, Minor Watson, Dona Drake, Regis Toomey, Sarah Selby, Joel Allen, Gail Bonney, Frances Charles, James Craven, Ann Doran, June Evans, Bess Flowers, Hal Gerard
- Beitragsbild © Warner Bros.