Drei Farben: Blau, Grün, Rot. Sie schenkten der Leinwand eine Sprache, als sie bereits sprechen konnte: die der Farben. Zusammen ergeben die Töne das leuchtende Regenbogenspektrum von Technicolor. Das revolutionäre Farbfilmverfahren feiert die diesjährige Berlinale Retrospektive unter dem Titel „Glorious Technicolor“. Der Name ist im doppelten Sinne Programm, denn die letztes ist in der Filmauswahl ebenso bunt wie die Leinwand.
Der erste abendfüllende Technicolor-Film war 1936 Becky Sharp, doch es war der innovative Farbeinsatz in Werken wie Victor Flemings The Wizard of Oz oder Howard Hawks Gentlemen prefer Blondes (beide Teil der Retrospektive), der aus dem, was Anfangs als Gimmick wahrgenommen wurde, ein durchsetzungsfähiges Medium machte. Die rund 30 Filme, die auf farblichen Hochganz poliert wiederaufgeführt werden, zeigen die ganze Bandbreite der neuen inszenatorischen Möglichkeiten in nahezu alle populären Genres. Emeric Pressburger und Michael Powell, deren fantastische Bühnenbilder in The Red Shoes erst durch die emotionalen Farbtöne ihre volle Wirkung entfalten, entführen in Black Narcissus in ein mystisch angehauchtes Tibet. Richard Boleslawskis Abenteuerromanze The Garden of Allah zeigt die raue Wüste in weichen Tönen, die das romantische Sehnen der von Marlene Dietrich gespielten Heldin betonen. Der Mantel-und-Degen-Streifen The Three Musketeers gibt sich mit vereinter Kraft prachtvoll strahlenden Tollkühnheiten hin. Im Kontrast zu diesem erzählerischen Facettenreichtum fällt die inszenatorische Ausrichtung fast immer in eine Kategorie: bombastisch. Technicolor war nicht zuletzt wegen der enormen Produktionskosten Synonym für Blockbuster. Episch, tragisch, heroisch, romantisch, exotisch oder komödiantisch sollte es sein! Sattes Drama in satten Farben. Nicht selten litt unter dieser Schwerpunktsetzung die Dramaturgie.
Die mitreißendsten unter den in ihrer ganzen alten neuen Schönheit wiederaufgeführten Filmen sind heute die, in denen neben den Farben der Geist funkelt. Singin’ in the Rain, inszeniert von Hauptdarsteller Gene Kelly und dem legendären Regisseur und Choreographen Stanley Donen ist einer davon. Das im Hollywood der 20er spielende Musical zeigt die Ängste und Träume der Menschen vor und hinter der Filmkamera, zu der plötzlich ein Mikro gehörte. „Ich gehe nicht oft ins Kino“, sagt die Komparsin Kathy (Debbie Reynolds) zu Beginn zu dem bekannten Schauspieler Don Lockwood (Gene Kelly), der nach einer Synchronsprecherin für seine schrille Co-Darstellerin Lina Lamont (Jean Hagen als Stummfilm-Diva mit Quäk-Stimme) sucht, „Hat man einen gesehen, hat man sie alle gesehen.“ Solche selbstironischen Dialoge entwickeln natürlich eine spezielle Komik auf einem Festival wie der Berlinale, wo Besucher und Kritiker im Akkord gucken. Zur Ruhe kommen die Augen während des augenzwinkernden Meisterwerks nicht. Mal glitzert die Szenerie verführerisch, dann wieder hüllt sie sich in Grautöne, um in der nächsten Einstellung die Farben umso intensiver strahlen zu lassen. Der Reiz des Klassikers ist dabei keineswegs so oberflächlich wie der Glamour, der für die Leinwand-Figuren Teil des Arbeitsalltags ist. Es geht um die üblichen Themen Liebe, Bangen und Zusammenfinden, doch nicht ganz in der Konstellation, die man für Gewöhnlich erwartet. Zwar glüht Kathy bald vor heimlicher Verehrung für Don, noch mehr aber vor Leidenschaft für den Film. Ebenso gehört Dons Herz an erster Stelle seiner Filmkunst und an zweiter erst Kathy.
Diese Hingabe zum Medium, das sich damals seine Anerkennung als ernsthafte Kunstform noch erkämpfen musste, teilen die Charaktere mit den Machern und sicher einem Großteil des Publikums. Singin’ in the Rain zeigt die verlockende Fassade des Filmbusiness genauso wie die Intrigen und Manipulationen dahinter. Daraus scheint ein Wunsch zu sprechen, den man noch heute als Kritikern verspürt: Dass die Zuschauer sich vom Kino bezaubern lassen – aber nicht blenden.
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