Wenn man ein episches Werk verfassen möchte, egal ob in filmischer oder literarischer Form, ist es von Vorteil zu wissen, was man darin wie vermitteln möchte. Sonst tritt man entweder auf der Stelle oder verliert sich ewiger in wirrer Polemik. Das lehrt Bardia Yadegaris und Ehsan Mirhosseinis Berlinale Encounters Beitrag gleich doppelt: Zum einen in der Haupthandlung ihrer experimentieren Sci-Fi-Parabel im Cut-up-Stil, zum anderen mittels deren verworrener Struktur und inhaltlicher Verklausulierung.
Zweite legt nahe, dass die iranischen Filmemacher ursprünglich womöglich eine konkrete Aussage hatten, während der Produktionsphase kamen jedoch entweder Zweifel auf, der Mut abhanden oder der Lockdown dazwischen. Zu groß war die Verlockung, das, was als psychologische Allegorie auf die alltägliche Paranoia und totalitäre Staatskontrolle des iranischen Regimes begonnen hatte, mit einem brandaktuellen Kommentar zur radikal veränderten Weltlage zu kombinieren. Das Potenzial eines solchen Parallelisierens ist enorm; ebenso die Enttäuschung über dessen gescheiterten filmischen Ausdruck.
Unmissverständlich ist in der monotonen dreigleisigen Charakterdekonstruktion lediglich der Bezug zu literarischen Vorbildern von Ginsberg über Kafka bis Dorfman, dessen Zitate die Handlung einleiten und den drogensüchtigen Hauptcharakter Peyman (pointiert: Regisseur Bardia Yadegari) inspirieren. Die Publikation des Gedichts, an dem der joggende Junkie in einem maroden Teheraner Wohnblock seit zehn Jahren schreibt, verhindert ein kafkaesker Schreibtischtäter. Bis Peyman buchstäblich alles anzünden will. Dass die obskure Regierungsmacht inzwischen die gleiche Idee hatte, wirkt da direkt erlösend.
Die chronologisch und atmosphärisch aufgesplitterte Dystopie tarnt regimekritische Metaphern und vage Gegenwartsbezüge als Manifestation des drogenumnebelten Dichtergeistes im Zentrum der konkurrierenden Alternativrealitäten. Deren trostlose Hochhauslandschaften zerfallen unbeachtet wie die Körper deren letzter Bewohner. Alle versuchen dieser Hölle zu entkommen: in Heroinrausch, Wahnsinn oder eine einzig auf dem PC-Screen präsente Welt, in der Menschen sich frei untereinander bewegen. Vor dem Trauma gibt es indes kein Entfliehen. Hoffnung auf eine bessere Zukunft kennen nur die Privilegierten.
- OT: Mantagheye payani
- Regie: Bardia Yadegari, Ehsan Mirhosseini
- Drehbuch: Bardia Yadegari, Ehsan Mirhosseini
- Produktionsland: Iran, Germany
- Jahr: 2021
- Laufzeit: 117 min.
- Cast: Bardia Yadegari, Farideh Azadi, Ali Hemmati, Gandom Taghavi, Sara Ajorloo, Reza Bahrami, Ali Kamali, Amin Mirhosseini, Bahar Jahanara, Maryam Moradi
- Kinostart: –
- Beitragsbild © Berlinale