Genau wie vor rund 20 Jahren Queer as Folk ist Russel T. Davies serieller Flashback ins London der 80er in erster Linie ein Vorwand, um Unmengen Sex-Szenen zu inszenieren. Zumindest in den ersten zwei Episoden der bereits angelaufenen Serie, der die Nennung bei Berlinale Series eine nicht benötigte Extraportion Promotion verschafft, ist die spannendste Frage die nach dem Stellungswechsel bei der nächsten Runde Poppen, in die unweigerlich Hauptcharakter Ritchie Tozer (Olly Alexander) involviert ist.
Da das London der Handlungsära zumindest auf dem Bildschirm so queer war, dass der Himmel jeden Tag voller Regenbogen hing und Diskriminierung höchsten Ritchies bester Freundin Jill (Lydia West) als PoC widerfährt, sind die Probleme der Charaktere meist mit einer schnellen Nummer gelöst oder vorerst vergessen. Bis Gerüchte von einem tödlichen Virus aufkommen. Gesundheitsschutz ist für die homosexuelle Hauptfiguren-Clique bis dahin kein Thema. Weil Syphilis, Tripper, Hepatitis, Herpes und Scabies eine Dekade Pause machten?
Der gleichgültige Umgang mit der Gesundheit des Partners macht die Figuren nicht nur unsympathisch, er steht in markantem Kontrast zur angeekelten Paranoia beim Kontaktverdacht mit HIV-Infizierten wie Ritchies Kumpel Colin (Callum Scott Howells). Interessanter als der seichte Auftakt der leidlich amüsanten Sex-Soap wären die Publikumsreaktionen auf offenkundige Parallelen im gesellschaftspolitischen Umgang mit den Pandemien. Aus der Vergangenheit zu lernen ist jedoch viel erwartet von einem System, das sich zur Wiederholung ethischer Skrupellosigkeit gratuliert.
Wenn der knallbunte Retro-Reigen die zynische Kurve kriegt und einer von Doppelmoral, Heuchelei und Egotismus infizierten Gesellschaft den Spiegel vorhält, wäre das weitaus interessanter als die amourösen Eskapaden eines halben Dutzend gestylter Männer, die sich vor ironisiert überakkuraten Kulissen verlustieren. Das in seiner Promiskuität fast austauschbar wirkende Ensemble, dessen einzige handlungstragende Frauenfigur wie eine Pflichtübung wirkt, kann die schwache Dramaturgie nur bedingt ausgleichen. Tempo nützt wenig, wenn die Story weniger sündig ist als nervig.
- OT: It’s a Sin
- Regie: Peter Hoar
- Drehbuch: Russell T. Davies
- Produktionsland: UK
- Jahr: 2020
- Laufzeit: 137 min.
- Cast: Olly Alexander, Nathaniel Curtis, Omari Douglas, Lydia West, Shaun Dooley, Keeley Hawes, Neil Ashton, Callum Scott Howells, Toto Bruin, David Carlyle, Tracy-Ann Oberman, Delroy Brown, Michelle Greenidge, Shaniqua Okwok, Edmund Dehn, Nicholas Blane
- Kinostart: –
- Beitragsbild © Berlinale