Meeresrauschen, das Knirschen des Sandes bei jedem Schritt am endlosen Strand und der Wind, der die herbe Landschaft peitscht: Jacquelyn Mills lässt das Publikum ihres poetischen Menschen- und Naturbildes von der ersten Szene an in den Elementen des malerischen Schauplatzes versinken. Sable Island ist einer der abgelegensten Orte Kanadas. Einer langgeschwungenen Linie gleich erstreckt sich im Atlantik die knapp anderthalb Kilometer breite Insel. Wellen und Witterung ändern beständig ihre Form und lassen sie langsam wandern.
Drei bis fünf Menschen bewohnten in den letzten Jahrzehnten das von Gras und Dünen geprägte Eiland mit über 300 Vogelarten, Robben und verwilderten Ponys. Eine dieser Menschen ist Zoe Lucas, die auf die Frage, was die Insel ihr bedeute, antwortet: „home“. Als Studentin begegnete die Naturkundlerin 1974 mit einem Robbenforscher-Team erstmals der Szenerie. Deren karge Schönheit fängt die Regisseurin und Kamerafrau in grandiosen Bildern, denen historisches Filmmaterial und alte Fotos einen zeitversetzten Spiegel vorhalten.
Die Entscheidung zu bleiben, sei nie bewusst gefallen, berichtet Lucas. Doch seit ihrer ersten Begegnung zog es sie immer wieder und immer länger auf den isolierten Flecken. Dessen raues Klima und schroffes Terrain birgt ein sensibles Ökosystem, dem Plastikmüll und Klimaerwärmung zusetzen. Menschenverschuldete Naturzerstörung und menschliche Naturverbundenheit sind das tragische Paradox des philosophischen Essays. In dessen Motiven von Flora und Fauna mischt sich eine warnende Allegorik von Vergänglichkeit und einer Nacht, der kein Morgen folgt.
Wie ein altes Liebespaar zeigt Jacquelyn Mills lyrische Doku ihre Protagonistinnen: eine Frau und die Insel, auf der sie lebt. Den Charakter der Naturforscherin Zoe Lucas und den Charakter Sable Islands umreißen intuitive Kameraaufnahmen als ein jahrzehntelang verwachsenes Ganzes. Eine atemberaubende Bild- und Geräuschkulisse komponiert eine berauschend sinnliche Ode an das Alleinsein. Ruhige und gleichsam neugierige Einstellungen öffnen mittels subtiler Symbolik die Augen für eine persönliche Erfüllung abseits restriktiver Ideale von materiellem und menschlichem Besitz.
- OT: Geographies of Solitude
- Director: Jacquelyn Mills
- Screenplay: Jacquelyn Mills
- Country: Canada
- Year: 2022
- Running Time: 103 min.
- Cast: Zoe Lucas
- Release date: –
- Image © Jacquelyn Mills