Rund 30.000 Frauen und junge Mädchen wurden in Irlands berüchtigten Magdalene Wäschereien unter menschenunwürdigen Existenzbedingungen interniert, misshandelt und missbraucht, während sie der katholischen Kirche als Arbeitssklavinnen dienten. Manche ihr ganzes Leben. Viele überlebten die Tortur nicht. Manchmal halfen die frommen Schwestern den Folgen von Krankheit, Unterernährung und Entkräftung nach und verscharrten ihre Opfer in Massengräbern. Eines wurde 1993 entdeckt. Verurteilt wurde bis heute niemand. All diese Leben sind in Tim Mielants Gewissensdrama nur eine Fußnote.
Die erscheint unmittelbar vorm Abspann des Wettbewerbsbeitrags der 74. Berlinale, die nur scheinbar mit der Tradition leichter Kinokost als Eröffnungsfilm bricht. Cillian Murphys Bill ist ein Held so bescheiden, ehrbar und menschlich wie aus einem Charles-Dickens-Roman. Einen solchen wünscht er sich zu Weihnachten, das im Handlungsjahr 1985 ansteht. Damit wirklich jeder die Botschaft von Mitgefühl und Nächstenliebe versteht. Denn anders als die Inhaltsangabe suggeriert, geht es in der späten Selbstfindungsstory nicht um die Magdalene Laundries.
Letzte existieren am äußersten Rand des Schauplatzes Wexford und des auf Claire Keegans gleichnamiger Novelle basierenden Plots. Der kreist um Bills Rückbesinnung auf seine Kindheit und die Gegenüberstellung von „wahrer“ und falscher Frömmigkeit anhand implizit biblischer Vergleiche Bills mit den Leiterinnen der örtlichen Magdalene Wäscherei. Dort findet der Kohlehändler und Vater von fünf Töchtern eine verstörte Insassin im Kohle-Lager und hadert fortan mit seiner Verantwortung bezüglich des Geschehens, von dem kaum etwas gezeigt wird.
Indirekt wird Mielants zum Komplizen, wenn er ähnlich vorgeht wie Bills Umfeld: Wegsehen, totschweigen und Victim Blaming durch das Motiv von Vergebung, die Schuld voraussetzt. Was, wenn es deine Mutter, Tochter usw. gewesen wäre?, lautet der fragwürdige Appell, der statt Empathie Selbstinteresse anspricht. Dabei war ein krudes Ideal von Familienanstand ein entscheidender Grund der Auslieferung weiblicher Verwandter an die Wäschereien. Deren Ende brachte kein öffentlicher Widerstand und kein guter Samariter, sondern der Siegeszug der heimischen Waschmaschine.
Die zehntausende Opfer der kirchlichen Magdalen Laundries zu einem bloßen Vehikel bürgerlicher Besinnung und Besinnlichkeit zu reduzieren, ist nur ein geschmackloser Aspekt Tim Mielants patent gespielten Charakterporträts. Das zeigt nie die ökonomische, systemische und ideologische Macht der katholischen Kirche als eigentliches Übel. Im Gegenteil bestärkt das psychologische Melodram die toxische Glaubensdoktrin. Die muffige Enge, Düsterkeit und Kälte des stimmungsvollen Szenenbilds wird so zugleich zum Spiegel der reaktionären Gesinnung auf der Leinwand und hinter der Kamera.
- OT: Small Things Like These
- Director: Tim Mielants
- Screenplay: Enda Walsh, Claire Keegan
- Country: Ireland, Belgium
- Year: 2024
- Running Time: 96 min.
- Cast: Cillian Murphy, Ciarán Hinds, Emily Watson, Amy De Bhrún, Joanne Crawford, Eileen Walsh, Abby Fitz, Ian O’Reilly, Cillian O’Gairbhi, Tom Leavey, Ella Cannon, Louis Kirwan
- Image © Big Things Film