Auffällig viele Beiträge der diesjährigen Berlinale, wo Ameer Fakher Eldins zweiter Spielfilm im Wettbewerb seine Premiere feiert, sind weniger auserwählte Geschichten als die mal mehr, mal weniger vielversprechenden Ideen für solche. Dazu gehört auch das schwermütige Drama des in Kiev geborenen Regisseurs, der einer syrischen Familie entstammt und nun in. Deutschland lebt. Dieser persönliche Hintergrund wirft ein besonderes Licht auf die zentralen Themen seiner vielschichtigen Charakterstudie, die sich ganz in ihren Figuren verliert.
Deren wichtigste ist Munir (Georges Khabbaz), der getrennt von seiner Schwester und der demenzkranken Mutter (Nidal Al Achkar) in Deutschland lebt. Die unbestimmten Beschwerden, die den schweigsamen Schriftsteller plagen, schreibt ein Arzt Stress zu. „Ruhen Sie sich mal aus. Gehen Sie spazieren“, lautet sein lapidarer Ratschlag. Eine bitter realistische Andeutung des Unverständnisses depressiver Leiden, besonders bei älteren Männern, die zu der demographischen Gruppe mit den meisten Freitoden gehören. Auch Munir trägt sich mit diesem Gedanken.
Um seinen Plan In die Tat umzusetzen, verlässt er die Großstadt, deren trübe Farben, beengte Räume und Düsterkeit seine Seelenlandschaft spiegeln. Im Kontrast dazu stehen die satten Farben und das offene Küstenland der Hallig, auf der er bei der resoluten Gastwirtin Valeska (Hanna Schygulla) unterkommt. Der Himmel verdunkelt sich indes auch hier, als eine herausziehende Sturmflut bei den gegensätzlichen Figuren vergrabene Erinnerungen aufwirbelt. Naturmetaphern, Traumbilder und Sagenwelten verdichten sich zur allegorischen Studie von Sehnsucht und Schmerz.
Ein Märchen, das Munirs Mutter ihm als Kind erzählte, wird zu beider letzter verbindenden Erinnerung, und zur kraftvollen Parabel seines psychischen Zustands. Die geheimnisvolle Geschichte eines verfluchten Hirten (Ali Suliman) und seiner schwermütigen Frau (Sibel Kekilli) verläuft elliptisch ohne Anfang und Ende. Schicht und dennoch von mythischer Tiefe, ist das Märchen ein faszinierend komplexes Symbol. Es versinnbildlicht Munirs zwanghaftes Gedankenkreisen, seine Schreibblockade, die Gedächtnislücken seiner Mutter und ein unerreichbares Kindheitsidyll in einer fast vergessenen Heimat.
Stimmungsvolle Kameraaufnahmen, enigmatische Landschaftskulissen und differenzierte Charaktere mäandern zwischen Charakterstudie, Gefühlsbild und Figurendrama. Die hintergründige Inszenierung fängt so im Moment, dass der Mangel an Handlung kaum ins Gewicht fällt. Das organische Zusammenspiel Schygullas und Khabbaz, die ihren Figuren eine ruhige Präsenz verleihen, entfaltet eine kaum beachtete platonische Form der Nähe. Die narrative Reduktio, erzählerische Langsamkeit und ausufernde Symbolik fordern viel Geduld. Doch diese belohnt ein selten wertfreies Depressionsdrama, das Trauer greifbar macht und ihren Platz gibt.
- OT: Yunan
- Director: Ameer Fakher Eldin
- Screenplay: Ameer Fakher Eldin
- Year: 2025
- Distribution | Production © Intramovies