Jeden Tag müsse er daran denken, sagt ein junger Überlebender des rassistischen Terroranschlags von Hanau in Marcin Wierzchowskis eindringlichem Dokumentarfilm. Dass dies einmal anders werde, könne er sich jetzt nicht vorstellen: „Vielleicht in zwanzig Jahren.“ Ob bis dahin mehr geschehen sein wird, als das viel zu Wenige, das seitens der Politik und staatlichen Institutionen bisher unternommen wurde, ist fraglich. Was bleibt, sind der Schmerz, die Verzweiflung, die unbeantworteten Fragen. Am drängendsten die Frage nach systemischer Mitverantwortung.
Wierzchowskis Werk ist an erster Stelle eine Anerkennung und Würdigung der Gefühle der Angehörigen. Zu sagen, sie würden in ihrer Situation alleingelassen, das wäre fast schon Schönfärberei. Die Eltern, Geschwister und Freunde der Ermordeten stoßen auf Mauern, wo sie versuchen, die vielen Unstimmigkeiten aufzurollen. Warum war der Notausgang der Schischah-Bar, in der am 19. Februar 2020 der 43-jährige Täter auf die Besuchenden schoss, verriegelt? Warum reagierte die Polizei nicht auf die zuvor eingegangenen Notrufe?
Warum wurden die Angehörigen erst fast einen Tag spür informiert und auch das nur, nachdem sie selbst die Polizei aufsuchten? Der nüchterne Report setzt wenige Wochen nach dem Mordanschlag ein und zeigt das Versagen der deutschen Politik und ausgerechnet jener Institutionen, die Schreckenstaten wie die von Hanau verhindern und deren Aufarbeitung erleichtern sollten. Eine bezeichnende Erkenntnis ist, dass zahlreiche Amtspersonen und Politiker*innen augenscheinlich nicht so viel anders denken als der Täter.
Er sah die Oper aufgrund ihres Migrationshintergrunds nicht als Deutsche. Ähnliche Ressentiments zeigen sich im Obduktionsbericht, der willkürlich einem Ermordeten „orientalisches Aussehen“ zuschreibt. Eine solche Distanzierung verhinderte auch das Denkmal für die Opfer, das auf dem Hanauer Marktplatz angeordnet um die Statue der Gebrüder Grimm stehen sollte. Gerade deswegen, bringt es einer der Hinterbliebenen auf den Punkt, muss man die Leute damit konfrontieren. Diese Konfrontation und das Bewusstmachen des systemischen Rassismus gelingt hier schmerzlich deutlich.
Fünf Jahre nach dem faschistischen Terroranschlag von Hanau sind die Wunden, die das Verbrechen geschlagen hat, nicht verheilt. Eine ordentliche polizeiliche Ermittlung hat nicht stattgefunden. Angemessene Unterstützung der Hinterbliebenen gab es nicht. Der öffentliche und staatliche Rückhalt für ein würdiges Gedenken fehlt. Marcin Wierzchowskis nüchterne Chronik der vier Jahre nach der Bluttat zieht ihre Kraft aus den Worten der Hinterbliebenen, die das alarmierende behördliche Fehlverhalten aufzeigen und das Leid greifbar machen. Ebenso dringlich wie traurig aktuell.
- OT: Das Deutsche Volk
- Director: Marcin Wierzchowski
- Screenplay: Marcin Wierzchowski
- Year: 2025
- Distribution | Production © milk & water