Auf den ersten Blick scheint Alex Russells sardonisches Spielfilm-Debüt nicht viel mehr als eine im Pop-Business angesiedelte Ausgabe der maliziösen Mittelklasse-Megalomanie von Saltburn, verpackt in stylischer Independent-Look. Doch schon der Umstand, dass der Regisseur und Drehbuchautor die Video-Ästhetik seines perfiden Psychothrillers in die Handlung integriert, verrät eine entschieden reflektiertere Perspektive als Emerald Fennell. Deren Werk war lediglich ein hyper-sexualisiertes Symptom der Klassengrenzen und Aufstiegsphantasien, die Russell analysiert. Archie Madekwes Mitwirken in beiden Filmen unterstreicht deren ideologische Polarität.
Letzte wirkt wie eine metatextuelle Parallele zur psychopathologischen Gegensätzlichkeit des Protagonisten-Paares. Als Verkäufer steht Matthew (fabelhaft: Théodore Pellerin) unendlich entfernt von dem Selbstbewusstsein, Ruhm und Wohlstand Olivers (Madekwe). Der Popstar lädt ihn zu einem Backstage-Besuch ein, nachdem der junge Hauptcharakter ihn mit seinem vermeintlich eklektischen Musikgeschmack beeindruckt. Tatsächlich ist Matthews Desinteresse an Olivers Ruhm eine raffinierte Strategie, um sich in dessen Entourage einzuschleichen. Doch der Star entzieht seine Gunst so rasch wie er sie verteilt.
Mit subtilem Sarkasmus und intuitiven Gespür für die materiellen und sozialen Gefälle zwischen seinen Figuren seziert Russell die diffizile Machtdynamik innerhalb Olivers Clique. Seine Bro-Kumpel lassen ihn von Anfang an spüren, dass sie ihn nie akzeptieren werden. Ihre Provokationen sind keine Initiationsprüfung, sondern das gehässige Abstecken einer unüberwindbaren Grenze. Während Saltburn Klassenhierarchien bestätigte, indem er die elitäre Exklusivität der Oberschicht als (lebens)notwendigen Schutzmechanismus darstellte, zeigt Russell unverblümt den zynischen Absolutismus des Klassensystems.
Bezeichnenderweise zeigt mit Olivers zurückhaltender Managerin Shai (Havana Rose Liu) das einzige weibliche Mitglied seiner Clique Mitgefühl mit Matthew. Dessen Ambitionen nehmen bedrohliche Ausmaße an, nachdem Oliver ihn erst spontan als Regisseur einer Behind-the-Scenes-Doku engagiert und dann während eines Drehs in London brutal abserviert. Obwohl seine Motive sich nie völlig entschlüsseln, sind sie eindeutig komplexer als Gier oder Statusneid. Matthew will wie Oliver sein und er will Olivers Freund sein – vielleicht der einzige echte, den er hat.
Alex Russells bissige Spielfilm-Debüt wirft einen enthüllenden Blick auf die gefährliche Faszination von Popularität und Erfolg. Seine doppelbödiger Mix aus Psychothriller, Pop-Satire und Freundschaftsdrama untersucht die destruktive Synergie klassistischer Strukturen und toxischen Narzissmus. Der bitterböse Witz trifft nie die authentischen Charaktere, deren Machtverhältnisse beständig wechseln. Pellerin glänzt als ambivalenter Titel(anti)held, dessen Verunsicherung so glaubwürdig ist wie seine soziopathischen Züge. Der narrative Soundtrack ist wie einige dramaturgische Cues mitunter zu plakativ, aber zu unterhaltsam, um sich daran zu stören.
- OT: Lurker
- Director: Alex Russell
- Screenplay: Alex Russell
- Year: 2025
- Distribution | Production © High Frequency Entertainment