„Das ist Tradition hier. Da musst du schon mitmachen.“ Also trabt Luisa (Raina Todoroff) mit auf die Wache der Dorfpolizei, die sie soeben an ihrem Hochzeitstag verhaftet hat. Von wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“. Aber alles ist, soweit es die junge Argentinierin und das Publikum Sophia Mocorreas pointierten Berlinale-Beitrags versteht, bloß ein alter Brauch in dem deutschen Provinznest. Daher stammt ihr Zukünftiger Fred (David Bruning). Der kämpft mit der Erwartungshaltung und grotesken Übergriffigkeit seiner heimischen Verwandtschaft.
Selbige hat sehr konkrete Pläne für das zukünftige Glück der Jungvermählten. Die elitären und xenophoben Spitzen, mit denen die Familie ihre joviale Herzlichkeit spickt, sind ein Vorgeschmack auf die grenzwertigen Bemerkungen der Polizei. Nicht nur Luisas Lächeln wird da immer gequälter. Eine emanzipierte Partnerschaft untergraben in der lakonischen Kritik toxischer Traditionen nicht nur revisionistische Rituale und konservierte Konstrukte weiblicher Objektivierung und männlicher Autorität. Ebenso prominent ist der latente Rassismus der Bevormundung und – scherzhaft maskierten – Kriminalisierung Luisas.
Mit hintersinnigem Humor und sarkastischer Scharfsicht enthüllt Sophia Mocorrea in ihrer gerade dank ihrer Kürze so effektiven Sittenkomödie, die nach der Premiere bei Sundance nun in der Berlinale Sektion Perspektive Deutsches Kino zu sehen ist, die archaischen Rollenbilder und patriarchalischen Strukturen, die regionale und familiäre Bräuche romantisieren. Von dort ist es nicht weit zu nationalistischen Schikanen, die den humoristischen Überbau demontieren. Pointierte Einblicke geben ein lebendiges Bild verwandtschaftlicher und partnerschaftlicher Gefüge, ohne ins Plakative abzugleiten.
- OT: El secuestro de la novia
- Director: Sophia Mocorrea
- Screenplay: Sophia Mocorrea
- Country: Germany
- Year: 2023
- Running Time: 30 min.
- Cast: Niels Bormann, Anne Kulbatzki, Michaela Winterstein, Raina Todoroff, Tatiana Saphir, David Bruning
- Release date: –
- Image © Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf