Jeder Topf kocht irgendwann über, wenn man nur lange genug den Deckel drauf hält. Viel mehr erschließt sich am Ende nicht aus Asli Özges klaustophobischen Krisenchronik, die ihr paradigmatisches Potenzial mit einer Überzahl Nebenhandlungen und -figuren erstickt. Ein solcher Fokus-Verlust für das Wesentliche in einer Ausnahmesituation ist ironischerweise das heimliche Hauptthema des konspirativen Kammerspiels. Dessen geschlossene Gesellschaft ist die Hausgemeinschaft in einem jener einstmals eleganten Altbauen, dessen Hauseinfahrt eines Tages ohne Erklärung polizeilich abgeriegelt wird.
Dass Immobilien-Investor Herr Horn (Felix Kramer) sich im Prolog unmittelbar zuvor ein den mehrdeutigen Titel evozierendes Glaskasten-Büro in den Hof hieven lässt, ist einer der fast überdeutlichen Verweise auf die antiautoritären Ansätze der zwischen soziologischer Satire und pointiertem Paranoia-Krimi pendelnden Story. Die verkappt ihre komplexe Kritik an den Zuständen, an die in dem post-pandemischen Szenario Masken und sogar das Schlagwort „Lockdown“ erinnern, mit einer Unzahl populärer Politthemen von denen keines ausgearbeitet wird: Gentrifizierung, Diskriminierung, Klassenkampf, Statusverlust …
Das Protagonisten-Potpourri des Ensemblestücks verengt sich sukzessive auf die ebenso unsympathische wie uninteressante Henrike (Luise Heyer), die ein Bewerbungsgespräch zu verpassen fürchtet. Gatte Daniel (Sascha Alexander Geršak) und sie schielen nicht als einzige auf den Kauf einer der Wohnungen, die der sich zum Blockwart erhebende Herr Horn luxussanieren will. Dem notorischen Nörgler Dr. Behr (Christian Berkel) stinken indes die Mülltonnen im Hof mehr als der willkürliche Hausarrest, der angeblich dem Schutz des Mieterkollektivs dient.
Dass ein von Obrigkeitsgehorsam und Opportunismus gelenktes Bildungsbürgertum im Namen der allgemeinen, vor allem jedoch eigenen Sicherheit behördliche Willkür und staatliche Gewalt nicht nur hinnimmt, sondern begrüßt, ist eine der bitteren Lektionen der jüngeren Vergangenheit, die sich neben sarkastischen Spitzen gegen kapitalistische Korruption und neo-liberalen Nepotismus als latentes Leitmotiv der kammerspielartigen Konstellation herauskristallisiert. Sogar ein Streit über Impfstatus (wenn auch den einer Katze) schafft es in den pessimistischen Plot, dessen Befangenheit die systemkritischen Ambitionen boykottiert.
Ein Air frustrierender Ungewissheit durchdringt Asli Özges sozialanalytischer Synekdoche nicht nur dank der effektiven Abbildung normalisierter Staatsrepression, sondern der Halbherzigkeit der politischen Message. Nicht unähnlich der Bewohnenden des bürgerlichen Biotops, dessen sozialdarwinistische Selbstsucht die schlingernde Story zu nachsichtig betrachtet, schwankt die Regisseurin und Drehbuchautorin zwischen Assimilation und Autoritätskritik. So besticht die zum dramatischen Leerlauf tendierende Inszenierung weniger mit Suspense oder Raffinesse als stimmig gespielten Charakteren und politischen Implikationen. Die allein sind indes schon viel wert.
- OT: Black Box
- Director: Asli Özge
- Screenplay: Asli Özge
- Country: Germany
- Year: 2023
- Running Time: min.
- Cast: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Manal Issa, André Szymanski, Sascha Alexander Geršak, Anne Ratte-Polle, Jonathan Berlin, Inka Friedrich, Anna Brüggemann, Marc Zinga, Deniz Orta, Ali Bulgan, Hanns Zischler, Noemi Besedes
- Image © Part au Prince Pictures