Der Nebel des Grauens lichtet sich nicht: Mehr als drei Jahrzehnte, nachdem er sich über die Leinwand senkte, ist John Carpenters The Fog gespenstisch wie einst.
„Fast Mitternacht. Genug Zeit für eine Geschichte. Noch eine Geschichte vor zwölf, nur um uns warm zu halten.“ Doch die Erzählung des alten Matrosen (John Houseman) lässt das Blut in den Adern gefrieren. Hundert Jahre zuvor brannte schon einmal ein Lagerfeuer an der Küste von Antonio Bay, ähnlich dem, um das die lauschenden Kinder sich scharen. Hundert Jahre zuvor wurde ein Schiff im Nebel gegen die Klippen geleitet. Wenn der Nebel eines Tages zurückkehrt, werden auch die Besatzungsmitglieder aus ihrem nassen Grab wiederkehren. So erzählen es sich alte Schiffer, wie jener, der das Seemannsgarn ausrollt, aus dem sich The Fog entspinnt. Die Szene ist der stimmungsvolle Prolog zu der cineastischen Lagerfeuergeschichte, die John Carpenter 1980 im Kino erzählte.
Das Schiff Elizabeth Dane sank mit Maus und Mann. Sechs Mann, die mit Lepra infiziert waren und eine Kolonie nahe dem beschaulichen Küstenort gründen wollten, dessen Hundertjahrfeier bevorsteht. Das dunkle Kapitel der Stadtgeschichte liest der Geistliche Malone (Hal Holbrook) aus einer Chronik vor, in der sein Großvater niederschrieb, wie er mit fünf Komplizen die Leprakranken in den Tod lockte. Das geplünderte Gold sollte dem Kirchenbau und der Stadt dienen. Antonio Bay ist auf Lüge errichtet, die Hundertjahrfeier eine Travestie, die mit den Stadtgründern Mördern huldigt. Die Organisatorin Kathy Williams (Janet Leigh) ignoriert die Warnung Malones, um den Schein zu wahren. Wie einst ist der Ort mehr auf seinen Ruf als auf die Konsequenzen bedacht. Die Geschichte wiederholt sich, noch bevor der Nebel zurückkehrt. Die Anwohner werden nicht, wie so oft im Horrorfilm, für die Sünden der (Groß)Väter bestraft, sondern für die symbolische Sanktionierung von deren Verbrechen. Aus dem weißen Dunstschleier, der nachts die Stadt gleich einem Leichentuch einhüllt, greift die Vergangenheit nach den Einwohnern, mit modriger, Enterhaken bewehrter Hand.
Die Fassade bröckelt zuerst am Fundament der Stadt. Ein aus der Kirchenwand gefallener Stein lässt Pater Malone das Tagebuch seines Großvaters finden. Niemand wollte die eingemauerte Chronik entdecken, die von selbst durch die Wand gedrungen scheint, wie Fäulnis sich durch Fleisch frisst. Die sich als authentischer Bericht ausgebende Niederschrift, die kollektives Unrecht als Ursache der Heimsuchung nennt, enthüllt tatsächlich, wie tief die Verleugnung der schmählichen Vergangenheit in der Gemeinde verwurzelt ist. Erst als er noch tiefere Schichten des Kirchengemäuers aufreißt, zeigt sich Malone die grausige Wahrheit und die noch schrecklichere Rache dafür. Der Nebel selbst symbolisiert das Verschleiernde, Verbergende der verleugneten Untat, die an ihrem Jahrestag ihre totenbleiche, kriechende Hand nach den Bewohnern ausstreckt.
Mr. Machen nennt der Regisseur in seinem Drehbuch den Seemann, der im Film namenlos bleibt. Die Figur ist eine der eindringlichsten Verkörperungen des Erzählers als Bewahrer von Mythos und Wahrheit zugleich, in dessen Rolle verschiedene Figuren schlüpfen. Ein Erzähler von Gruselgeschichten wie der Autor Arthur Machen, auf den der Name des Matrosen anspielt. Durch ihn spricht ein Autor visueller Gruselgeschichten: John Carpenter. Die einleitende Spukerzählung ist eine von vielen unheimlichen Anekdoten, aus denen er den Nebel des Grauens aufsteigen lässt. Der Tagebucheintrag, den Malone gleich einer Geisternovelle vorliest, die Warnung der Radiomoderatorin Stevie Wayne (Adrienne Barbeau) an ein Fischerboot, das der Nebel bedroht. Die Tramperin Elizabeth (Jamie Lee Curtis), deren Name an den des Geisterschiffs erinnert, das sich zeitgleich mit ihr dem Ort nähert, erzählt eine von Unwahrheiten durchzogene Geschichte; der Lastwagenfahrer, der sie mitnimmt, gibt eine Anekdote über einen gespenstischen Gegenstand zum Besten, der plötzlich verschwindet, ein populäres literarisches Horrormotiv.
Die an seinen Kultfilm Halloween geknüpften Erwartungen an Carpenters nächstes Horrorwerk enttäuschte die filmische Schauermär. Verstörte der stilbildende Slasher, der ein ganzes Genre mitbegründete, durch seine radikale Neudefinition des Serienmörder-Thrillers, atmet The Fog das düstere Unbehagen einer klassischen Gespenstererzählung. Dem atmosphärischen Spukfilm fehlt die grelle Schockwirkung des zeitgenössischen Horrorkinos. Sein Grauen ist weniger intensiv, doch es weilt länger, gleich der Geschichte des Alten Seemanns, mit der es beginnt.
- Beitragsbild © AVCO Embassy Pictures