„Mama hatte eine Abneigung gegen frische Produkte“. Frisches wird nicht serviert im Wolverhampton der Sechziger, nicht in dem adretten Mittelschichthaushalt, in dem der kochbegeisterte Nigel Slater mit seinem verbissenen Vater (Ken Stott) lebt und erst recht nicht in Toast . Frisches ist riskant, erst recht, wenn es innovativ zubereitet wird. Die zuverlässigsten Dinge kommen aus der Konserve und selbst die wird nur mangelhaft aufgewärmt. Nach dieser zu Filmbeginn etablierten Methode bereitet S. J. Clarkson das britische TV-Spiel, das es hierzulande bis ins Kino schafft.
„Es ist unmöglich jemandem etwas vorzuwerfen, der einem Toast gemacht hat“, behauptet Nigel (Oscar Kennedy). Das titelgebende Röstbrot ist für ihn mehr als die kulinarische Ausflucht, als die es seine Mutter (Victoria Hamilton) auftischt. Toast ist Symbol für Behütung, Heimeligkeit und beruhigende Rituale der englischen Mittelschicht. Toast schmeckt allen, und jeder kriegt ihn richtig hin. Verständlich, dass Clarkson seine biografische Coming-of-Age-Geschichte danach benannte. Doch selbst der hält die Welt des Protagonisten und des Films nicht zusammen. Lag es am Toaster-Qualm oder eingeatmeten Brotkrümeln in der Lunge? Mama stirbt an chronischem Asthma, Vater und Sohn zerfließen in Tränen wie Butter auf doppelt geröstetem Weißbrot. Mrs. Potter (Helena Bonham Carter) bringt beide auf den Geschmack. Mr. Slater findet die kochbegabte neue Putzfrau mehr als appetitlich, Nigel hingegen zerfrisst der Neid.
Den athletischen Gärtner (Matthew McNulty) beäugt er so gierig wie sein Vater Mrs. Potter. Dienstpersonal ist für die Mittelschicht bloß eine Ware zum Vernaschen. Dass Nigel unter der Bettdecke in Kochbüchern schmökert, als wären sie Pornohefte, soll seine Berufung und Besonderheit implizieren. Dabei ist der jugendliche Nigel später so verklemmt, dass er nichtmal ein ungewaschenes Radieschen probiert. Nur nichts Frisches, ob in Küche oder im Kino. Nigels zimperlicher Hintergrundkommentar enthüllt seine Besonderheit darin, sein kleinbürgerliches Umfeld an Spießigkeit zu übertreffen. Der entscheidende Makel von Mrs. Potter ist in der auf den Memoiren des britischen Kochstars basierenden Story ihre Herkunft: „Sie ist unsere Putzfrau!“, erinnert Nigel seinen Vater: „Guck, wo sie lebt. Sie lebt in einem Mietshaus!“ Sie sei ein Niemand, sagt er seiner Stiefmutter, die er und Clarkson niemals als Mrs. Slater anerkennen.
„Du wirst bestimmt einmal etwas Interessantes“, meint sein Schulkamerad Warrel (Frasier Huckle). Nigel protestiert entschieden. Er wolle nichts Interessantes werden. Woran der spätere Spitzenkoch scheitert, gelingt Toast mit Bravour. Den klassistischen Subplot jongliert der Regisseur wie eine heiße Brotscheibe. Zeitkolorit und schauspielerische Finesse können noch so dick aufgetragen werden, sie überdecken nicht den ranzigen Elitarsimus. Nostalgie und Bourgeoisie verschmelzen zu einer larmoyanten Kitchen-Sink-Kitsch, deren zuckeriger Chic bitter aufstößt. Das Problem mit den Leuten hier sei, dass sie so engstirnig sind, heißt es in der kulinarischen Komödie. Gleiches gilt für Clarksons Kinodebüt, das gleich dem Titelprodukt gehaltloses Junk-Food ist. Nachdem er fast den gesamten Plot ausschließlich in Küche und Esszimmer verbracht hat, arrangiert sich Nigel am Todestag seines Vaters flugs mit seiner Homosexualität und seiner Zukunft, die ihn im Londoner Savoy Hotel erwartet.
Kein Wunder, dass der Küchenchef den Teenager vom Land ohne Referenzen in die Sterne-Küche lässt: die Rolle ist eine Cameo des echten Slater. Was sagt sein filmisches alter Ego Nigel Mrs. Potter unter dem Vorbehalt, dass sie eine Angestellte sei, zum Abschied nochmal? „Geh’ zurück nach Wolverhampton.“
- OT: Toast
- Regie: S. J. Clarkson
- Drehbuch: Lee Hall
- Produktionsland: UK
- Jahr: 2010
- Laufzeit: 96 min.
- Cast: Oscar Kennedy, Helena Bonham Carter, Freddie Highmore, Ken Stott, Frasier Huckle, Colin prockter, Victoria Hamilton, Matthew McNulty
- Kinostart: 11.09.2011
- Beitragsbild © MFA+ Filmdistribution