Es hätte verdientere Preisträger der Goldenen Palme gegeben, aber keinen für die 75. Ausgabe des Festivals passenderen als Ruben Östlunds Spottstück auf Gender-Gleichberechtigung, matriarchalische Utopien, sexuelle Ausbeutung und die Versuche Normalsterblicher, sich durch ein materialistisches Arbeitsumfeld zu navigieren. Definiert durch eine nicht enden wollende Kotz-Orgie, ist Triangle of Sadness selbst ein filmisches Brechmittel, aber gerade dadurch auch emblematisch für einen nicht nur auf dramatischer Ebene von Elitarismus, Sexismus und Bigotterie geprägten Wettbewerb.
Dessen Zusammensetzung signalisiert bereits deutlich die Ausrichtung eines Festivals, dessen Leitung lieber ein halbes Dutzend Mal die gleichen alten Männer wie Jean-Pierre und Luc Dardenne, David Cronenberg oder Arnaud Desplechin einlädt, anstatt sich ansatzweise um eine gleichberechtigte Gender-Repräsentation zu bemühen. Cannes ist traditionell männlich. Und weiß. Wenn in den 21 Werken, die um die Goldene Palme konkurrierten, die Situation von People of Color dramatisiert wurde, geschah dies gefiltert durch die Perspektive weißer Filmschaffender.
Entsprechend marginalisiert bis problematisch ist etwa die Thematisierung von Rassismus in James Grays semi-biografischer Armageddon Time, das Sozialdrama Tori and Lokita der Dardenne-Brüder und Léonor Serraille Familiendrama Un Petit frère. Kaum besser steht es um die Repräsentation von Filmen mit LGBTQ+ Kontext. Diversität wirkt auf diese konservative Parallelwelt des in einem Luxusressort abgehaltenen (noch) prestigeträchtigsten Filmfestivals der Welt so abschreckend, dass man sie selbst dort suchen muss, wie sie eigentlich gefeiert werden sollte.
Der LGBTQ+ Bezug einiger Queer Palm Anwärter ist so vage oder aber fragwürdig, dass deren Nominierung mehr über heterosexuelle Projektion – und Paranoia – aussagt. Paradebeispiele dafür sind Emin Alpers von homophoben Stereotypen geprägte Krimi Burning Days, Valeria Bruni Tedeschis Forever Young und das Coming-of-Age-Story Close von Lukas Dhont, dessen 2018 mit der Queer Palm ausgezeichnetes Jugenddrama Girl Transsexualität tendenziell pathologisiert. Wenig überraschend dominieren auch auf zeitpolitischer Ebene eher leere Gesten als starke Statements.
Cannes, das Filmfestival, ist wie Cannes, der Ort, eine bizarre Bubble. Darin konserviert ist ein cineastisches Ideal von vor 40 Jahren, repräsentiert durch reinweiße, chauvinistische, ultra-straighte, kompromisslos konservative Filme wie Top Gun, dessen Fortsetzung Top Gun: Maverick hier passenderweise außer Konkurrenz läuft. Die meisten Filme hier sind wichtig, die wenigsten sind gut, kaum eine Handvoll richtig gut. Wie Kelly Reichardts Showing up, der gewonnen hätte, wenn Cannes das Gegenteil dessen wäre, was es ist.