Nachdem Hereditary und Midsommar Ari Aster eine eingeschworene Anhängerschaft unter Fans des New Horror brachten, sorgte Beau is Afraid mit seiner Freudianischen Paranoia vor allem für Irritation und Befremden. In die gleiche Kerbe schlägt auch sein jüngstes Werk; weniger tief, aber dafür umso wuchtiger. Nach gut zwei Drittel des knapp zweieinhalbstündigen Plots klickt es sowohl beim Regisseur als auch dessen erneut von Joaquín Phoenix verkörperten Hauptcharakter. Die aufgestaute Wut bricht sich Bahn in einer grotesken Gewaltorgie.
Deren sukzessive Steigerung entfaltete sich 2020 während der Pandemie im provinziellen Titelort in New Mexico als sardonischer Spätwestern. Dessen Antagonisten sind der asthmatische Sheriff Joe Cross (Phoenix) und der für seine Wiederwahl werbende Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal). Cross fungiert als Identifikationsfigur, allerdings einer reichlich unangenehmen. Seinen kritischen Blick auf die Lockdown-Regeln und Maskenpflicht, die er erzwingen soll, motiviert nicht Rechtsbewusstsein, sondern Arroganz und Ignoranz. Lockdown-Fanatiker Garcia ist als demokratisches Pendant zu Cross’ Republikanismus ist nicht besser.
Sein Einsatz für Diversität und saubere Energien, zu denen er auch Kernkraft zählt, ist wahlstrategische Heuchelei. Ebenso opportunistisch und egoistisch sind die Proteste der jungen Generation nach dem Mord an George Floyd für Black Lives Matter und gegen Polizeigewalt. Von letzter gibt es trotz Cross Inkompetenz – anfangs jedenfalls – wenig. Doch den Demonstrierenden geht es um Instagram-Likes oder das Anbaggern attraktiver Aktivistinnen. Auch Cross und Garcias Fehde basiert auf amourösem Konkurrenzkampf um Cross‘ Gattin Louise (Emma Stone).
Sie steckt in ihrer eigenen Verschwörungs-Bubbel um Pizzagate-Szenarien und Andrenochrom-Hirngespinste. Tritt hier jemand mal für das Richtige ein, dann aus den falschen Gründen. In Eddington gibt es keine Stimme der Vernunft. Erklingt letzte außerhalb der Stadtgrenzen von den Pueblo, wird sie verärgert zum Schweigen gebracht. Asters kakophone Kritik gilt einer dezidiert US-Amerikanischen Geisteshaltung. Einem vorwiegend, aber keineswegs ausschließlich weißen, cis-männlichen, mittelständischen Überzeugung von Unantastbarkeit, Überlegenheit, Führungskompetenz und Brillanz. Dahinter stecken Eifersucht, Main Character Syndrome und Potenz-Angst.
Seine armselige Anhänglichkeit an Louise machen die fatale Kombination nicht ungefährlicher. Mitläufer und eine perfide Überschneidung individueller Interessenkonflikte verschärfen die Gewaltbereitschaft kontinuierlich. Eingleisig verwirrter Obdachloser, der geradewegs aus Beau is Afraid in die bitterböse Story spaziert scheint, wird zum Funken, der das populistische Pulverfass hochgehen lässt. Die zahlreichen Zeitreferenzen enthüllen das vermeintlich absurde Geschehen als beunruhigend wahrscheinlich. Zugleich illustriert der zynische Epilog die allgemeine Unfähigkeit, aus der Geschichte zu lernen. Wie das Poster sagt: 2020 was Hindsight.
Die Eskalation eines trügerisch ruhigen Szenarios zeigen auch Asters bisherige Werke. Doch anders als dort ist in seinem neuen Film die Gewalt, die den provinziellen Titelort in New Mexico verschlingt, nicht kathartisch, sondern die aberwitzige Vorstufe zu noch umfassenderer, weitreichenderer Zerstörung. Diese katastrophale Kettenreaktion veranschaulicht bereits das Poster. Darauf stürzen sich Büffel wie die Lemminge in eine Schlucht. Ein Sinnbild der verschwörungstheoretischen Verblendung, die das Land längst über den Rand des Abgrunds hinaus gebracht hat.
Zynischer Witz und ein scharfgeschliffenes soziologisches Skalpell schaffen eine abgründige Satire der martialischen Mentalität der Trump-Ära. Gegenüber der surrealen Panik seines letzten Werks ist Ari Asters zweite Zusammenarbeit mit einem gewohnt grandiosen Joaquín Phoenix fast zurückhaltend. Umso rigoroser ist der anarchische Ausbruch der Angst und Aggression hinter bürgerlichen Fassaden. Diejenigen, die als Vertreter staatlicher Autorität Recht und Ordnung erhalten sollen, untergraben diese. Überspitzt bombastischer Soundtrack karikiert den reaktionären Jingoismus, der im kleinstädtischen Konservativismus gedeiht. Eine bitterböse Ballade des amerikanischen Alptraums.
- OT: Eddington
- Director: Ari Aster
- Year: 2025