Von dem ganzen LSD, das die Charaktere und durch einen Zufall einmal sogar ein Hund in Olivier Laxes apokalyptischem Road Movie genommen wird, hatte der Regisseur und Co-Drehbuchautor womöglich auch einiges. Das muss keineswegs etwas Schlechtes sein. Gerade die irrationalen und psychedelischen Elemente geben seinem infernalischen Film-Trip eine düstere Faszination und parabolische Mehrdeutigkeit. Der arabische Titel bedeutet „Pfad“ oder „Weg“. Der führt die ungleichen Charaktere psychisch und existenziell an den Rand des Erträglichen und testet zugleich die Grenzen narrativer Regeln.
Die Handlung beginnt trügerisch konventionell als eine bewährte Kombination aus Familiendrama und Crime-Mystery. Luis (Sergi López, einziger Profi unter Laien-Darstellenden) sucht mit seinem jungen Sohn Esteban (Brúno Nuñez) und Hündin Pippa auf einem Rave nach Estebans älterer Schwester Mar. Seit einem halben Jahr hat sie kein Lebenszeichen gegeben und wollte angeblich auf die Open-Air-Party. Die ist am Rande der marokkanischen Wüste, wo zwischen riesigen Boxen Aussteiger*innen zu wummernden Beats tranceartig tanzen. Luis wirkt als Repräsentant einer bürgerlichen Normfamilie wie ein Fremdkörper.
Dennoch sind die alternativ gekleideten und geschmückten Raver*innen hilfsbereit, obwohl niemand Mar gesehen hat. In der Hoffnung, seine Tochter auf dem nächsten Rave zu finden, folgen Luis und Esteban einer fünfköpfigen Wahlfamilie tief in die Wüste. Für manche eine Reise ohne Wiederkehr. Dass statt Polizei das Militär den friedlichen Tanz auflöst und zwei Luis neuer Begleiter Amputationen haben, deutet auf eine schemenhafte Kriegsentwicklung innerhalb der in naher Zukunft angelegten Handlung. Deren Schauplatz und Kohorten panzerartig verstärkter Wohn-Trucks und Vans erinnert vage an Mad Max.
Doch Kameramann Maruo Herces von Sand und brennender Sonne verschleierte Wüsten-Panoramen zeigen eine beunruhigend wahrscheinliche Dystopie zu Beginn eines Dritten Weltkriegs. Luis und Esteban, Jade (Jade Oukid), Steffi (Stefanian Gadda), Josh (Joshua Liam Henderson), Tonin (Tonin Janvier) und Bigui (Richard Bellamy) bewegen sich In jedem Sinne in Grenzzonen: historisch, lokal, zivilisatorisch, sozial und schließlich existenziell. Tod und Vernichtung brechen in ihre Alternativfamilie, die Luis und Esteban warmherzig aufnimmt, durch schreckliche Unfälle. Deren Willkür und Sinnlosigkeit macht sie zu eruptiven Metaphern für die kollateralen Opfer militärischer Konflikte.
Eine neon-leuchtende Stairway to Heaven, die aus dem Leeren kommt. Dröhnende Bässe und ekstatisch tanzende Körper mitten im Nirgendwo. Eine plötzliche Explosion inmitten der Einöde. Oliver Laxe folgt seinen Figuren mit intuitiver Entschlossenheit auf ihrem Weg zu einer neuen Verbundenheit, die Trauer und Verlust geschmiedet haben. Unterteilt in einen humorvollen, abenteuerlichen ersten Teil und einen verstörenden, schmerzlichen zweiten Teil, bildet der Plot ein surreales Diptychon. Dessen experimenteller Soundtrack und menschenleere Naturkulisse komplettieren die nihilistische Aura der impulsiven Story, die gesellschaftlichen und dramaturgischen Konformismus buchstäblich sprengt.
- OT: Sirat
- Director: Oliver Laxe
- Year: 2025