Zu Beginn seiner gehässige Geschichts-Groteske führt Sergei Loznitsa das Publikum buchstäblich hinter den Eisernen Vorhang. Ein gewaltiges Stahltor öffnet sich und lässt eine ausgemergelte Gruppe Gefangener in eine sowjetische Haftanstalt. Es ist ein Ort, aus dem niemand, der nicht für das System arbeitet, wieder herauskommt. Jedenfalls nicht für lange. Diese bittere Lektion lernt auch der idealistische Hauptcharakter (Aleksandr Kuznetsov) reichlich spät und der ukrainische Regisseur will sicherstellen, dass alle anderen sie unmissverständlich mitkriegen. So ist seine Adaption einer Novelle des russischen Schriftstellers Georgy Demidov dramatische Didaktik.
Exemplarisch dafür ist die eröffnende Textkarte, die das Handlungsjahr 1937 anzeigt „The Height of Stalin‘s Terror“. Was darunter zu verstehen ist, schildert einer der Insassen dem jungen Rechtsanwalt Kornyev. Der frisch vom Staatsexamen eingestellte Hauptcharakter gelangt nach stundenlangem Warten in die menschenunwürdige Zelle, in der ein einst geachtete Rechtsgelehrte Stepniak wegen vorgeblicher politischer Subversion eingesperrt ist. Geschockt von Stepniaks Berichten von Folter, falschen Geständnissen und Tausenden eingesperrten Unschuldigen will Kornyev die Zustände den Obrigkeiten melden. Dass dies keine zuträgliche Idee ist, dürfte niemanden überraschen.
Doch genau so präsentiert es Loznitsa. Seine bühnenhafte Szenen, starre Bilder und dialoglastige Innenszenen erinnern an ein verfilmtes Theaterstück. Dessen zynische Schlusspointe steht von Anfang an fest und verpufft in intellektualistische Prätention. Effektiver ist Jurij Grigorovičs und Aldis Meinerts Set-Design. Triste, dumpfe Räume schaffen klaustrophobische Bedrängnis. Die von mattem Grau, Braun und Dunkelgrün dominierte Farbpalette unterstreicht die erstickende Tristesse des totalitären Regimes. Dessen bürokratische Bestrafung Kornyevs Rechtsbewusstseins zeigen endlosen Wartezeiten. Nicht nur die machen die Handlung quälend langatmig. Zwei ermüdende Bahnfahrten vollenden die narrative Ellipse.
Auf Hin- und Rückfahrt seiner juristischen Rundfahrt wird Kornyev von anderen Passagieren in ungebetene Gespräche verwickelt. Die beiden als dramatische Pendants ausgerichteten Episoden untergraben jeglichen Realismus mit ihrer Sketch-Struktur. Jeder Satz wirkt auswendig gelernt, jeder beiläufige Kommentar minutiös getimet und die Bahnabteile sind offensichtlich Studio-Attrappen. Diese Synthetik steht in skurrilem Widerspruch zu der historischen Verankerung des Stoffs. Jener bewegt sich unentschlossen zwischen Amts-Posse, Schwarzer Komödie und Kostümdrama. Trotz des soliden Schauspiels funktioniert keines der Genres. Der Witz ist grausam bis abgeschmackt und nur die Langweile authentisch.
Dass der engagierte Hauptcharakter Sergei Loznitsas manierierten Adaption einer obskuren Novelle tatsächlich glaubt, in der Führung des Sowjetregimes humanistische Unterstützung zu finden, wirkt unfreiwillig amüsanter als jeder der hämischen Gags. Der misanthropische Humor verhöhnt den historischen Schrecken, den der Plot scheinbar anprangert. Vorhersehbarkeit und pädagogischer Paternalismus blockieren Suspense und Dynamik. Die trübe Monotonie der Interieurs transzendiert die Story. So ist das skurrile Lehrstück ebenso mutwillig ausgedehnt und ermüdend wie die Wartezeiten, die der Protagonist aussitzen muss. Nicht nur er nickt ein. Auch im Kinosaal wird geschlafen.
- OT: Two Prosecutors
- Director: Sergei Loznitsa
- Year: 2025