Selbstverantwortung, die für die dem weiblichen Figuren-Trio unendlich schwerer fällt als Verantwortung für andere, steht im Zentrum Shih-Ching Tsous bezaubernden (alleinigen) Spielfilm-Debüts. Angesiedelt in der Heimatstadt der Taiwanesischen Regisseurin, erzählt ihr zärtliches Familiendrama von einem diffizilen Geflecht an Mutter-Tochter-Beziehungen. Jede der drei Generationen im Fokus der mit spielerischem Humor aufgelockerten Story ringt auf ihre Weise mit der gesellschaftlichen und gesetzlichen Diskriminierung innerhalb einer zutiefst patriarchalischen Gesellschaft. Diese sieht Töchter bis heute als nachrangig gegenüber Söhnen.
Männliche Nachfahren erben den Familienbesitz; Frauen hingegen erben höchstens Schulden, die meist ihre männliche Verwandtschaft angehäuft hat. So geht es auch Shu-Fen (Janet Tsai), die mit ihrer kaum volljährigen Tochter I-Ann (Shih-Yuan Ma) und der kleinen I-Jing (Naturtalent: Nina Ye) nach mysteriöser Abwesenheit nach Taipei zurückkehrt. Ihr Stand auf dem Nachtmarkt, der für die aufgeweckte I-Jing zum glitzernden Abenteuerspielplatz wird, hält sie kaum über Wasser. Die Krankenhauskosten und Schulden I-Anns geschiedenen Vaters werden zur erdrückenden Geldlast.
Um ihre Mutter zu unterstützen, arbeitet I-Ann als Beauty in einem Beetlenut-Store. Doch ihr selbstzerstörerisches Verhalten verkompliziert die instabile Situation der Familie weiter. Ihre angespannte Beziehung zu Shu-Fen reflektiert deren kalte Beziehung zu ihrer blasierten Mutter. Unterdessen verinnerlicht I-Jing die abergläubischen Mahnungen ihres Großvaters, dass Linkshändigkeit Teufelswerk sei. In unbeobachteten Momenten beginnt die kleine Titelfigur, ihre „böse“ linke Hand entsprechend einzusetzen. Der nachhaltige Einfluss der großväterlichen Mahnungen auf I-Jing weist subtil auf die tiefgründige Wirkung verletzender Worte.
Unter solchen leidet jede der drei Protagonistinnen stumm. Ihre innige Zuneigung spricht dafür aus Fürsorge und einem manchmal fehlgeleiteten Beistand. Sanfter Humor, Trauer und Enttäuschung wechseln beständig in der dreigliedrigen Handlung. Deren feine Struktur unterstreicht zusätzlich die inszenatorische Kompetenz der Regisseurin, die das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Langzeit-Kollaborateur Sean Baker schrieb. Gleichsam lebensnah und hintergründig zeichnet sie ein Gruppenporträt weiblicher Solidarität, die familiäre Konflikte und internalisierte Minderwertigkeitsgefühle überdauert.
Vor der schillernden Kulisse Taipeis Nachtmarkts entwirft Shih-Ching Tsou ein ebenso energetisches wie empathisches Familienbild. Dessen Komplexität zeigt sich stückweise in der temporeichen Story, die sich wie ihre Titelheldin mitunter übereifrig in das bunte Szenario stürzt. Die gelegentliche Überlastung des Handlungsgerüsts balanciert Tsous Gespür für die kindliche Perspektive. Deren naive Phantasie vermittelt der Vorspann, der den pulsierenden Stadtschauplatz durch ein Spielzeug-Kaleidoskop betrachtet. Die Pailletten verschmelzen mit den Großstadtlichtern zu einem Ort, dessen Magie die Leinwand transzendiert.
- OT: 左撇子女孩
- Director: Shih-Ching Tsou
- Year: 2025