Leben und Tod, Gemeinschaft und Einsamkeit, Verzweiflung und Hoffnung sind die existenzialistischen Eckpunkte, zwischen denen der junge Titelcharakter Pauline Loquès sensibler Befindlichkeitsstudie driftet. Kondensiert auf einen bedeutsamen Tag folgt die Handlung Nino (exzellent: Théodore Pellerin) auf seinem impulsiven Weg. Der führt den stillen Protagonisten am Ende wieder dorthin, wo er beginnt: im Krankenhaus. Hier trifft Lucie Baudinauds intime Kamera, die in nahezu jeder Szene dicht an Nino und seinen widersprüchlichen Gefühlen bleibt, ihn beim Diagnosegespräch.
Die Ärztin zeigt ihm ein Röntgenbild und verpackt die niederschmetternde Nachricht in medizinische Fachbegriffe, die eine seltsame Distanz zum menschlichen Aspekt schaffen. Nino hat Kehlkopfkrebs. Er ist Prioritätspatient, wird er später seinem besten Kumpel Sofian (William Lebghil) berichten. In der Onkologie heißt Priorität, dass es schlimm steht. Seiner Mutter von dem Befund zu erzählen, bringt Nino nicht über sich. Sie zündet gerade die Kerzen auf einem Kuchen für ihn an, denn es ist sein Geburtstag.
Dieses Zusammenfallen von einer möglichen Todesnachricht mit dem Jahrestag ist einer der forcierten Aspekte Loquès selbstverfassten Drehbuchs. Das profitiert von der klaren Struktur und fokussierten Ausrichtung, aber ringt immer wieder mit Überkonstruktion. Um die Dualität der existenzialistischen Krise zu betonen, platziert die kanadische Regisseurin noch eine sexuelle Komponente. Weil die Chemotherapie seine Fruchtbarkeit schädigt, soll Nino im Fall eines Kinderwunsches eine Sperma-Probe abliefern. Die Dose, die er mit sich herumträgt, ist eine der tragikomischen Zwischentöne.
Pellegrini trägt mit bemerkenswerter Leichtigkeit den Film und eine fordernde Rolle, die leicht in Sentimentalität hätte sinken können. Seine Interaktion mit alten und neuen Bekannten, die ihm auf seiner Geburtstagsfeier, dem Flohmarkt und in einer Nachtunterkunft begegnen, fängt mit seltener Natürlichkeit die feinen Nuancen eines inneren Chaos ein. Sein zentraler Konflikt entspringt dem Bedürfnis, sich mitzuteilen, und der Hemmung, andere zu belasten. Überall erinnert etwas a den Tod, dessen Negation einen zwiespältigen Schlusston setzt.
Bittersüß, schwankend zwischen unerwarteter Komik und erdrückender Trauer, skizziert Pauline Loquès einfühlsames Debüt-Drama einen Schlüsseltag im Leben des todkranken Protagonisten und damit seinen psychischen Zustand. Ähnlich des Titelcharakters wahrt die kondensierte Inszenierung eine äußere Ruhe, selbst wenn die Emotionen sie zu überwältigen drohen. Einige Begegnungen und Gespräche untergraben die Authentizität Pellerins hervorragender Performance mit bildungsbürgerlicher Künstlichkeit. Doch das selbst eine pretiöse Referenz an Abramovic und bizarrer Babyphone-Sex das Memento Mori nicht kippen, attestiert dessen Qualität.
- OT: Nino
- Director: Pauline Loquès
- Year: 2025