Die überlieferten Volkssagen und Märchen, die sich gleich eines abstrakten Off-Kommentars durch Guillermo Galoes soziologisches Spielfilm-Debüt schlängeln, sind zugleich narratives Monument und Sinnbild einer im Verschwinden begriffenen Kultur und Gemeinschaft. Jene ist die am Rand Madrids gelegene Roma Gemeinde La Cañada. Sieben Jahre verbrachte der Regisseur nach eigener Aussage unteren deren Bewohnenden. Ohne die finanziellen Mittel eines der teuren Stadtapartments zu mieten, haben die meisten selbst ihre Hütten ohne Strom und fließend Wasser errichtet.
So auch die Altmetallhändler-Familie des jungen Hauptcharakters, dessen Mutter eine unverzügliche Räumungsaufforderung erhält. Laiendarsteller Antonio Fernández Gabarre spielt eine fiktionalisierte Version seiner selbst als der 15-jährige Toni. Seine Welt fällt abrupt auseinander, als der größte illegale Slum Europas abgerissen wird. Während schon die ersten Bagger anrücken und zerstören, was seine Familie sich wortwörtlich aufgebaut hat, kommen zwei weitere Schicksalsschläge. Sein bester Freund wird für immer wegziehen und Toni verliert seinen geliebten Hund Atomica.
Entschlossen, das Tier zurückzukaufen, ersucht Toni mit allen Mitteln Geld aufzutreiben. Parallele zum mitleidlosen Abriss der Wohnhäuser, die einige der Älteren wie Tonis Großvater nicht verlassen wollen, zerbrechen seine familiären Strukturen. Expressionistische Nachtaufnahmen schaffen einen stilistischen Gegenentwurf zu den dokumentarisch anmutenden Tagesszenen. In die ungleich suggestivere Stimmung der magisch-realistischen Dunkelheit malen Lagerfeuer geheimnisvolle Schatten, während aus dem Off die Stimmen der Erwachsenen mystische Sagen heraufbeschwören. Improvisation verleiht den Laien-Darstellungen eine ungeschliffene Authentizität, die jedoch nie die formalistische Distanz des filmischen Blicks von Außen überwindet.
Gemeinsam mit dem Romani Ensemble seiner ersten Spielfilmarbeit entwirft Guillermo Galoe eine fragmentierte Story, die unstet zwischen Doku-Drama und sozialdramatischem Surrealismus balanciert. Die dramaturgische Struktur wird zur bizarren Parallele des abgebildeten Geschehens. So wie die Existenz der spanischen Roma-Gemeinde zerschlagen wird, zerfasert der Plot in ernüchternd generische und augenöffnend lebensnahe Episoden. Ungewollt macht dies dem Kinopublikum noch deutlicher, dass die Realität hier durch eine weiße, bürgerliche Perspektive gefiltert und für eine solche aufbereitet wird. So bleibt trotz der relevanten Thematik ein ambivalenter Beigeschmack.
- OT: Ciudad Sin Sueño
- Director: Guillermo Galoe
- Year: 2025