Nach seinem melancholischen Langfilm-Debüt Ville Neuve und dem dokumentarischen Essay Archipel zieht Félix Dufour-Laperrière das Kinopublikum zum dritten Mal in eine magisch-realistische Animations-Welt. Symbolismus und Subjektivismus verschmelzen zu einer blutigen Fabel über eine Jugend auf der Suche nach ethischer Integrität. Die junge Helene (Zeneb Blanchet) wird zur exemplarischen Vertreterin dieser jungen Generation. Mit einer Handvoll Gleichaltriger unternimmt Helene einen Anschlag auf das schlossartige Anwesen eines alten Ehepaares. Wer die Hausherrin im Rollstuhl (Barbara Ulrich) und ihr Mann sind bleibt ebenso schemenhaft wie die Identitäten der jungen Clique.
Der kanadische Regisseur und Drehbuchautor legt seine Figuren bewusst als Prototypen an. Eine Diskussion zwischen Helenes Freund*innen verrät, dass sie Aktivist*innen sind und gesellschaftlichen Wandel herbeiführen wollen. Welcher Art dieser Wandel sein soll, bleibt unklar. Der Weg dorthin ist jedenfalls brutal. Die Hausbesitzenden hätten „alles“ und würden „alles zerstören“, verkünden Helenes Gefährte*innen. Doch letztlich sind sie diejenigen, die Zerstörung herbeiführen. Schwer bewaffnet stürmt die Aktivisten-Gang das Grundstück und hinterlässt ein Blutbad. Die Schießerei überleben einzig die alte Dame und Helene, die entsetzt von einem Waldhinterhalt zusieht.
Helenes Flucht durch den Wald, der sich eine surreale Traumlandschaft verwandelt, bestimmt den Hauptteil der Handlung. Aus der panischen Flucht vor den bewaffneten Sicherheitskräften der Hausbewohnenden wird eine buchstäbliche Sinn-Suche. Auf dieser begegnen der Protagonistin ihre toten Gefährt*innen Manon (Karelle Tremblay) und Marc (Mattis Savard-Verhoeven). Ihre Fragen und Sentenzen sind ähnlich interpretationsoffen wie das Szenario und frustrierend floskelhaft: „Was am Ende zählt, sind unsere Überzeugungen.“ – „Du hast mehr Kraft, als du glaubst.“ Die Stationen Helenes Weges sind ebenso vorhersehbar wie dessen Zielpunkt. Ungleich faszinierend ist dagegen die Optik.
Wie Dufour-Laperrières vorherigen abendfüllenden Animations-Filmen ist die Szenerie mit Stift und Tinte in reduzierter Form entworfen. Gebäude, Figuren und Tiere erscheinen als meist farblose Silhouetten, die sich gespenstischen Metamorphosen verwandeln und verflechten. Dieser stilistischen Reduktion folgt auch die Farbpalette. Im Gegensatz zu den kühlen, düsteren Nuancen seiner ersten zwei Langfilme ist die surreale Story in intensive Komplementärfarben getaucht. Orange, rot und grün dominieren die mystische Landschaft, die ein ganz eigenes Leben besitzt. Flora und Fauna verschmelzen organisch miteinander und zerfließen in die geisterhaften Gesichter Helenes toter Freund*innen.
Einzelne Farbtöne greifen auf den gesamten Hintergrund über und füllen die Figuren. Deren Gefühle und inneren Konflikte sprechen stärker aus den Illustrationen als den Dialogen. Letzte klingen unnatürlich abstrakt und drehen sich oftmals im Kreis. Ob dieses Wiederholungselement gezielt gewählt ist und eine Parallele zur elliptischen Handlung darstellt, bleibt unklar. So ambivalent wie die Inszenierung ist auch das sozialkritische Fazit. Einerseits zeitlos, anderseits pauschal. Gegenwartsrelevant, aber oberflächlich. Desillusioniert und defätistisch. Die Geschichte wirkt weniger wie eine eigenständige Idee als eine improvisatorische Verknüpfung der suggestiven Bilder.
Erneut verwandelt Félix Dufour-Laperrière die Kino-Leinwand zur Zeichengrundlage einer magisch-realistischen Reise in die Psyche seiner Charaktere. Jene sind sowohl optisch als auch dramaturgisch kaum mehr als Umrisse, die wie leere Hüllen wirken. Der Mangel an Individualität trifft auch die Story, die statt spezifischer Ereignisse ein generalisiertes Szenario darstellt. Dadurch rück die ästhetisch faszinierende Inszenierung nah an trockenes Thesenkino. Die hypnotischen Bilder, nur mit Stift und Wasserfarben kreiert, regen indes an, die dramatische Leere mit der eigenen Phantasie zu füllen. Die visuelle Ausdruckskraft wirkt weit stärker als die mutlose Message.
- OT: La mort n’existe pas
- Director: Félix Dufour-Laperrière
- Year: 2025