“The Year of the Bad Thing” nennt Eva Victor das dritte der fünf Kapitel, die ihr zwischen Schmerz und spröder Komik schwankenden Spielfilm-Debüt unterteilen. „Die schlimme Sache“ klingt gar nicht so schlimm. Mehr wie etwas, das andauernd Leuten passiert, und an das man lieber nicht erinnert werden. Dies gilt auch für das Erlebnis der jungen Protagonistin, die Victor selbst mit trotziger Widerstandskraft verkörpert. Es passiert andauernd, sie will nicht daran denken müssen und es nicht „schlimm“. Tatsächlich ist es traumatisch.
Doch das muss Agnes, die dem Publikum drei Jahre nach dem „bad thing“ begegnet, erst sich selbst eingestehen. Erschwert wird das nicht nur durch den verständlichen Wunsch, das Erlebte in Gedanken auszulöschen, sondern die Reaktionen eines bigotten Umfelds. Jenes Umfeld macht der aussichtsreichen Literaturstudentin, die nach dem Ereignis die Universität fluchtartig verließ, unmissverständlich klar, dass sie keine Hilfe zu erwarten hat. Die Universitätsleiterinnen ziehen sich aus der Verantwortung. Der Arzt spricht mit ihr, als ob sie die eigentliche Schuldige sei.
Die wenigen Ausnahmen sind Agnes beste Freundin Lydie (Naomi Ackie), die sich direkt nach dem Ereignis u sie kümmert, und ihr im ersten Akt zum Abschied sagt: „Stirb nicht“. Dass Tod als Ausweg aus dem psychischen Gefängnis aus Wut und Ohnmacht subtil präsent ist, zeigt die emotionale Ehrlichkeit und psychologische Differenzierung der non-linearen Story. Jene nährt sich der Kernthematik sexueller Gewalt mit unprätentiöser Direktheit und unsentimentaler Authentizität. Eine Perspektive in offensivem Kontrast zu realen und fiktionalen Stereotypen über Opferverhalten und Täter.
Letzter ist Agnes Referent Preston (Louis Cancelmi), der ihr Schreibtalent lobt und seinen Status als scheinbar fürsorglicher Vater systematisch ausnutzt. Mit messerscharfem Blick für sexistische Doppelmoral, institutionalisierte Misogynie und patriarchalische Medizin begleitet der periodische Plot Agnes bei der mühsamen Bewältigung. Zufällige Trigger enthüllen das Ausmaß des Traumas. Das wirkt umso perfider ohne die paradoxe Sicherheit eines gesellschaftlich akzeptierten Narrativ. Agnes spürbare Scheu, das Wort „Vergewaltigung“ zu benennen, unterstreicht das pervertierte Schuldverständnis, das Victor mit bissigem Witz und seltener Empathie dekonstruiert.
Kummer und sarkastischer Humor, Wut und freundschaftliche Zuwendung markieren die emotionale und tonale Vielschichtigkeit, die Eva Victors fulminantes Debüt-Drama auszeichnet. Dem herausfordernden Thema sexueller Gewalt widmet sich die geschickt strukturierte Story aus einem gleichsam vernachlässigten und relevanten Blickwinkel. Dieser zeigt die existenziellen Auswirkungen der soziologischen Definition und Einordnung der Tat. Kühle, dunkle Farben steigern die gedrückte Stimmung Mia Cioffi Henrys nüchterner Kamera. Starke Darstellungen, insbesondere Victor und Naomie Ackie, liefern den lebensechten Rapport und die zwischenmenschliche Dynamik dieses tragikomischen Sundance-Hits.
- OT: Sorry, Baby
- Director: Eva Victor
- Year: 2024