Zwölf Jahre nach seinem Vampir-Actioner Rigor Mortis, der 2013 in Venedig seine Premiere feierte, legt Hong Kong Regisseur Juno Mak nach. Seine zweite Regiearbeit, die in Cannes bei den Midnight Movies läuft, ist ähnlich des filmischen Vorgängers eine opulente Genre-Hommage. Film Noir und klassische Gangsterfilme sind unübersehbare Einflüsse auf Ästhetik und Atmosphäre der epischen Crime-Saga. Deren Handlung erstreckte sich ursprünglich auf sieben Stunden. Geblieben sind davon nach rigorosen Schnitten knapp über zwei.
Entsprechend groß sind die Lücken in der extrem verwickelten Handlung um zwei Brüder auf entgegengesetzten Seiten des Gesetzes. Die pessimistische Story beginnt in einer alternativen Vergangenheit 1994 in einem Hong Kong, das meteorologisch und moralisch in ewige Finsternis gesunken scheint. Selbst in den wenigen Tagesszenen wirkt der Himmel schwarz. Schnee – oder womöglich Asche-Regen – rieselt auf die metallischen Hochhaus-Silhouetten und teerschwarzen Straßen. Die Stadt befindet sich im Radius des radioaktiven Fallouts einer uneindeutigen Katastrophe.
Alt genug, um an Strahlenkrankheit zu sterben, Werden die meisten Bewohnenden sowieso nicht. Korruption und Kriminalität wuchern bis in die höchsten Etagen der Wolkenkratzer und Krankenhäuser. In einem davon liegt der todkranke Vater des Pharma-Konzern-Erben Moreton Li (Takeshi Kaneshiro kehrt nach langjähriger Abwesenheit auf die Leinwand zurück). Ein Selbstmord-Bomber (eine psychopathische Cameo für Regisseur Mak) jagt das Hospital in die Luft und verschärft weiter die Medikamenten-Knappheit. Unter der leidet auch Lis kleine Tochter.
In einem originellen narrativen Twist, der leider nie vertieft wird, haben verschreibungspflichtige Meds euphorisierende Rauschmittel als illegale Handelsware abgelöst. Ein überraschend zeitbewusster Aspekt in Zeiten, in denen die Medizin-Industrie Psychopharmaka gezielt pusht und Analgetika immer radikaler reguliert. Doch Systemkritik ist kaum die Absicht des Regisseurs. Er entspinnt ein zunehmend undurchsichtiges Netz aus Verrat und Intrigen um Moreton und dessen untergetauchten Bruder Maddox (Alex To). Ein Shakespeare’scher Touch sublimiert die blutige Familienfehde zwischen Moreton und seinem düsteren Alter Ego Maddox.
Der skrupellose Drogenfahnder Wong Chi-tat (Lau Ching-wan), Assassine Ching Man-sing (Louis Koo) und Moretons verschlagene Gattin Lau Siyan (Gao Yuanyuan) verkomplizieren das schon in den Grundzügen verworrene Beziehungsgeflecht weiter. Die Übersicht der verschlüsselten Motive und konfliktierenden Interessen zu behalten, ist nahezu unmöglich. So besticht die gravitätische Gewalt-Saga vorrangig durch ihre imposanten Kulissen und stimmungsvolle Optik. Der schillernde Cast wird durch diese stilistische Spektakel nahezu erdrückt und gleichzeitig zur dramatischen Dekoration reduziert.
Die makellosen Action-Szenen Juno Maks Retro-fiktionalen Neo-Noirs beeindrucken weniger mit effekttechnischer Wucht denn als ästhetischer Exzess. Explosionen und Maschinengewehrfeuer durchbrechen die in Anthrazit, Schwarz und fahles Weiß getauchte Kulisse mit gleißendem Rot. Beton, Stahl und Glasfassaden unterstreichen die eisige Härte des Szenarios. Dessen verschachtelten Plot um Familienehre, Verrat und Pflicht machen rabiate Kürzungen von sieben auf zwei Stunden zu krudem Stückwerk. Das hochkarätige Ensemble kann sich darin ebenso wenig entfalten wie die ausufernde Masse Charaktere.
- OT: Fung lam fo saan
- Director: Juno Mak
- Year: 2025