Womöglich dachte sich Amélie Bonnin ihr süßliches Spielfilm-Debüt basierend auf ihrem gleichnamigen Kurzfilm als cineastische Köstlichkeit. Tatsächlich trifft der Eröffnungsfilm der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes das Publikum wie ein kinematischer Schlag in die Magengrube. Selbiger erfolgt, wenn Gourmet-Köchin Cécile (passabel: Sängerin Juliette Armanets erste Hauptrolle) mit ihrem Langzeit und Berufspartner Sofiane (Tewfik Jallab) die Prämisse vorträgt. Genauer: vorträllert, denn das Ganze ist ein Musical. Oder eher ein Singspiel. Dessen musikalische Einlagen haben kaum narrative Funktion.
Stattdessen schaffen die französischen Auflagen verstaubter Popsongs krampfige Gute-Laune-Stimmung. Die Texte sind platt und der holprige Vortrag erinnert an Provinz-Disko. Die rettende Selbstironie fehlt dem überkonstruierten Plot. Cécile ist ungeplant schwanger, ihr Vater (François Rollin) hatte einen weiteren Herzinfarkt und ihr fehlt immer noch das Markenzeichen-Gericht des Feinschmecker-Restaurants, das sie mit Sofiane in Kürze eröffnen will. Trotzdem lässt sich von Sofiane zu einem Besuch bei ihren Eltern überreden. Die Rückkehr in die Raststätten-Großküche weckt alte Gefühle.
Vor allem für ihren Teenie-Crush Raphaël (Bastien Bouillon), der mittlerweile verheiratet und Vater ist. Auch Céciles Streitereien mit ihrem Vater, der entgegen ärztlicher Anordnung nicht die Küchenarbeit stehen lässt, kommen wieder auf. Reichlich Konfliktmaterial, wenn auch kein neues. Doch die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin erstickt jede Dramatik oder Zweifel im Keim. Zwanghafter Positivismus hebelt die Figurendynamik aus und blockiert das dramatische Momentum. Am klebrigsten liegt der Kitsch auf den Elementen, die ruppigen Realismus vorspiegeln sollen.
In der Raststätten-Küche darf jeder mitessen und mitmischen, dass man am liebsten das Gesundheitsamt alarmieren möchte. Im Pseudo-Arbeitermilieu sind alle eine Familie, ungeachtet der Statusunterschiede. Dass Céciles Eltern tatsächlich Unternehmer sind, ignoriert die richtungslose Story. Geldsorgen bleiben buchstäblich Behauptung. Von der Lebensrealität in Vertragsarbeit und Service ist die Inszenierung denkbar weit entfernt. So hat Mechaniker Raphaël eine schicke Werkstatt, ein Motocross-Bike und Einfamilienhaus. Céciles Eltern haben einen Camper und ein Kochshow-Auftritt macht sie offenbar zum Gourmet-Superstar.
Nicht nur die Gesangseinlagen und Tanznummern Amélie Bonnins musikalischer RomCom sind aus dem Takt. Speise-Metaphern betonen ständig, dass Kontraste zueinander passen. Die ziellose Inszenierung hingegen wirft zusammen, was die Klischee-Küche hergibt: Familiendrama, Romanze, Beziehungskiste und Nostalgie-Schwelgerei. Angerissene Konflikte werden weder gelöst noch ausgearbeitet. Handlung und Charaktere entwickeln sich nicht. Das Schauspiel immerhin ist solide, Szenenbild und Kostüme jedoch sind grelle Stereotypen. Der überwiegend aus Covern bestehende Soundtrack steht exemplarisch für die generische Einfallslosigkeit des cineastsichen Convenience-Foods.
- OT: Partir un jour
- Director: Amélie Bonnin
- Year: 2025