Die weiche, fließende Textur des titelgebenden Elements scheint unendlich weit entfernt von der brutalen Bruchstückhaftigkeit Kristen Stewarts viszeralen Regie-Debüts. Harte Schnitte, extreme Nahaufnahmen und assoziative Sprünge zwischen Zeit und Raum übersetzen Lidia Yuknavitchs titelgebende Memoiren in eine verstörend rohe Bildsprache. Deren visuelle Intensität und emotionale Intimität entfaltet die gleiche rohe Kraft wie die literarische Stimme der Schriftstellerin (fesselnd: Imogen Poots). Wasser wird zum Schlüsselelement ihrer traumatischen Jugend in einer bieder-bürgerlichen Hölle des San Franciscos der 70er.
Dort wächst Lidia mit ihrer älteren Schwester Claudia (Thora Birch) in einem grausamen Gefängnis normalisierter Misogynie auf. Sexualisierte Unterdrückung ist überall: daheim bei Kurheim sadistischen Vater (Michael Epp) und der apathischen Mutter und im Schwimmunterricht, wo die Körper der jungen Sportlerin nicht nur athletischen Ansprüchen genügen müssen, sondern einem sexistischen Ästhetik-Ideal. Ein Stipendium ermöglicht der Hochleistungsschwimmerin dem erniedrigenden Drill und ihrem Vater zu entkommen. Auf den erlösenden Freiraum reagiert sie mit selbstzerstörerischen Exzessen. Party, Alkohol, Drogen, Sex. Fuck the pain away.
Getrieben von einem pulsierendem Score überschwemmt die Crash-and-Burn Mentalität die Leinwand. Stewarts Inszenierung ist ebenso wild, zornig und ungefiltert wie der assoziative Wortfluss Yuknavitchs. Ein Malstrom hochsubjektiver Szenen-Fetzen, die Yuknavitchs Off-Kommentar mit provokanter Direktheit kontextualisiert. Zuneigung kann sie nicht annehmen. Auf Respekt und Geborgenheit reagiert sie verächtlich. Internalisierter Masochismus zwingt sie, die gewaltvollen Muster der Vergangenheit zu wiederholen. Ihre Olympia-Hoffnungen zerschlagen sich, eine ungeplante Schwangerschaft endet tragisch. Aufgestaute Emotionen brechen sich schließlich in Worten Bahn.
In einem Schreib-Workshop mit Ken Keysey (ein jovialer Jim Belushi) erfährt Yuknavitch literarische Anerkennung und kreative Geistesverwandtschaft, die sie in der Entwicklung einer eigenen authentischen Sprache helfen. Doch äußere Ruhe ist immer nur momentan. Die Wut, der Hass, der Kummer gären weiter in ihr. Bilder von Wasser – das chlorierte Hallenbad, in dem Yuknavitch sich als Mädchen abstrampelt, Badewassertropfen auf der Haut ihrer Schwester, das Meer, das die Asche ihres totgeborenen Babys wegschwemmt – ankern das collagenhafte Psychogramm.
Mit schonungsloser Ehrlichkeit beschwört der Bilderstrudel einen Schmerz, der so massiv ist, dass nur ein größerer Schmerz ihn vorübergehend auslöschen kann. Doch unter der schonungslosen Hülle Kristen Stewarts anarchischer Adaption Lidia Yuknavitchs introspektiver Memoiren schlummert eine subtile Zärtlichkeit. Dennoch liegt in jeder Einstellung ihrer ersten Regiearbeit auch tiefe Empathie, geboren aus der kollektiven weiblichen Erfahrung misogyner Repression und sexualisierter Gewalt. Körniges 16mm-Format, farbstarke Bilder und Imogen Poots selbstentblößende Darstellung verstärken die erratische Authentizität des kompromisslosen Charakterbilds.
- OT: The Chronology of Water
- Director: Kristen Stewart
- Year: 2025