„Homosexualität ist in unserem Land nicht strafbar. Haben Sie das vergessen?“, erinnert der Herausgeber des titelgebenden Schwulen-Magazins, das bis in die Nachkriegszeit hinein weltweit das einzige seiner Art war, bei einer polizeilichen Unterredung die Beamten. Deren Antwort legt den Finger in die Wunde der Bigotterie, die in jenen Jahren homosexuelle Bürger der Schweiz in ein soziales Dilemma drängte: „Nein, aber registrierbar.“
Urteilt ein Staat eine Gruppe als nicht konform ab, will jedoch aus Kalkulation nicht der gesetzlichen Verfolgung nachgehen, bleibt immer noch die Stigmatisierung. Diese erwartet hierzulande aktuell die Prostituierten, die wie einst Kontrollmädchen zur polizeilichen Zwangsregistrierung genötigt werden. Solch gezielt als Repression eingesetzte öffentliche Bloßstellung eines legalen Umstands, der zur selbstbestimmten Lebensführung gehört, verrät die Kluft zwischen behaupteter Toleranz und realem Ressentiment. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen bemühter Aufgeschlossenheit und Verkrampftheit hindert Stefan Haupts Doku-Drama daran, seiner thematischen Relevanz auf filmischer Ebene gerecht zu werden. Der historische Abriss, dessen nachgestellte Szenen einer differenzierteren dokumentarische Aufarbeitung den Raum nehmen, beginnt in der Gegenwart. Der pensionierte Schullehrer Ernst Ostertag und Travestie-Künstler Röbi Rapp sind seit über vier Jahrzehnten ein Paar. 2003 waren die unscheinbaren Herren die ersten Schwulen, die sich im Kanton Zürich das Ja-Wort gaben. Das Happy End steht fest und die Spielszenen sind inhaltlich zu harmlos, als dass je das Gefühl echter Beklemmung, behördlicher oder persönlicher Natur, aufkommt.
Blütezeit und Niedergang des homophilen Quartalshefts „Der Kreis“, dessen vom Chefredakteur mit dem Alias Rolf (Stefan Witschi) gehütete Abonnenten-Kartei zeitweise 2000 Namen umfasste, spiegeln das Schicksal diverser Publikationen mit mehr oder weniger anspruchsvollen Inhalten, die ins Pornographische tendierten. Das auf der diesjährigen Berlinale mit dem Teddy für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnetem Kompendium aus Interviews und Spielszenen gleicht in der Machart einer zweitklassigen TV-Produktion, die ihre Mankos nicht durch straffe Inszenierung auszugleichen vermag. Zuerst kann der junge Ernst die ungeahnte Freiheit in Zürich, das für kurze Zeit aufgrund seiner verhältnismäßig liberalen Gesetzgebung eine florierende homosexuelle Subkultur entwickelte, kaum glauben. Der an die schwule Version eines Herrenclubs erinnernde Kreis lädt regelmäßig zu bunten Maskenbällen und sogar Röbis Mutter (Marianne Sägebrecht) ist der Quasi-Schwiegersohn willkommen. Dann vermiest eine Mordserie im Milieu die Stimmung. Ein Tanzverbot unter Männern nimmt dem Club die Haupteinnahmen, Konkurrenzmagazine aus dem Ausland den Markt.
Als 1968 die Globuskrawalle der Polizei eine andere Angriffsfläche bieten, ist „Der Kreis“ bereits Geschichte. Deren Filmadaption zementiert indirekt mehr Zerrbilder als sie offenlegt. Kritik am saturierten Bürgertum vermeidet Haupt selbst dann, wenn sie sich wie beim Kaffeekränzchen bei Ernst biederen Eltern aufdrängen. Vielmehr kommt das Männerpaar bald selbst im Spießer-Himmel einer gemeinsamen Etagenwohnung an. Welche Rolle der gesellschaftliche Rang, der etwa bei dem einer Arbeiterfamilie entstammenden Röbi und dem wohlsituierten Ernst stark abweicht, im Kreis und beim Ausleben der sexuellen Orientierung spielte, bleibt vage. Die Gruppierung spiegelt auffällig das etablierte Beamten- und Bildungsbürgertum, das sich entrüstet: „Wir sind doch keine Verbrecher!“ Die Verbrecher sind die der Gewalttaten schuldigen italienischen Prostituierten: kriminelle Einwanderer, die im schwulen Gentlemen’s Club nicht erwünscht sind. Der Charakter („der Tech-Nick“ Antoine Monot, Jr.), der anmerkt „Nicht alle Stricher sind Mörder.“ wird zum Gegenbeweis prompt von einem ermordet. Ernsts Kreis- und Arbeitskollege, der in einem dank schummriger Beleuchtung buchstäblich zwielichtigen Pissoir Sex kauft, nimmt sich nach dem Verrat durch einen illegalen Italiener das Leben.
Moralische Verurteilung, selbstoktroyiert oder von fremder Seite, ist immer tragisch. Umso mehr, wenn sie sich im erhellenden Licht des zeitgeschichtlichen Rückblicks nicht auflöst, sondern wie gegenwärtig im Krieg gegen die Prostituierten lediglich verschiebt.
- OT: Der Kreis
- Regie: Stefan Haupt
- Drehbuch: Stefan Haupt, Ivan Madeo, Urs Frey, Christian Felix
- Produktionsland: Schweiz
- Jahr: 2014
- Laufzeit: 102 min.
- Cast: Anatole Taubman, Marianne Sägebrecht, Antoine Monot jr., Aaron Hitz, Marie Leuenberger, Peter Jecklin, Babett Arens
- Kinostart: 23.10.2014
- Beitragsbild © Edition Salzgeber