Die Schauspielerin hatte zu Michel Leclercs romantischer Gesellschaftssatire Der Name der Leute (Le Nom de Gens, 2010) viel zu erzählen. Hier geht es weiter mit Sara Forestier.
Hatten Sie Angst diese Rolle zu spielen?
Nein, die kam später. Ich erinnere mich, das, ich sogar während ich noch das Drehbuch las versuchte, einige Dialogpassagen zu improvisieren. Es war sehr stimulieren: Kreativität! Ich fühlte automatisch mit dem Charakter und dachte über sie nach. Danach habe ich das Casting gemacht und Michel engagierte mich.
Sie sagten, die Angst kam später. Wann begann der unheimliche Teil?
Das Problem war, dass die Figur der Bahia beängstigend war. Weil sie so besonders war und der Charakter in gewisser Weise gefährlich. Die Grenze war so dünn. Die geschriebene Rolle, schwarz auf weiß, ist sehr kühl. Da war dieses Mädchen, das politische Menschen konvertierte, indem sie mit ihnen Sex hatte und frei mit ihrem Körper war. Ich dachte, okay, sie ist perfekt, sie ist so gut. Ich fühlte, dass ich lächerlich sein würde, wenn ich so spielte. Als er mich veranlasste „Cabaret“ zu sehen, war ich sehr überrascht. Liza Minnelli war keine femme fatale oder ein Klischee von Weiblichkeit. Sie war auch sehr zerbrechlich. In gewisser Weise kühlte mich das ab. Danach konnte ich zu der Rolle zurückkehre.
Auf einer gewissen Ebene ist was Bahia tut ideologische Prostitution. Sie schläft mit Leuten, um sie zu konvertieren. Andere zu akzeptieren fällt ihr selbst schwer, denn was sie ablehnt, Konservativismus und Anti-Liberalismus, bekämpft sie.
Sie ist wie ein Mädchen eines anderen Jahrhunderts, das in eine moderne Welt projektiert ist. Sie besitzt Idealismus und unsere Gesellschaft konditioniert uns heute darauf, nicht idealistisch zu sein. Dieser Unterschied kreiert die Beziehungen, die komischen Momente des Films und sogar die dramatischen Situationen. Die ganze Zeit will sie über Probleme reden – vielleicht zu oft. Obwohl es manchmal dumm sein kann, ist es ihre Art, etwas durchzuziehen und sich zu engagieren. In Frankreich ist die politische Situation so, dass wir linkes und rechtes Spektrum haben. Vor einigen Jahren kamen plötzlich die Zentralisten. Das stiftete Verwirrung darüber, was Sozialismus und Liberalismus ist. Ich denke, manchmal ist es gut, Menschen wie Bahia zu haben, denn wir brauchen eine Position. Hat man eine politische Position, kann man diskutieren. Für mich war dies der Grund dafür, dass diese Figur interessant ist.
Wie politisch sind Sie selbst?
Nicht sonderlich. Für mich ist es einfacher, wenn ich mich auf etwas wie etwa die Lage der Studenten in Frankreich oder die Haftbedingungen oder dem Jugendstrafrecht beschäftige.
Nacktszenen sind selten beliebt bei Schauspielerinnen –
Und auch Schauspielern!
Sie haben nicht nur viele davon, sondern öffentliche Nacktszenen.
Diese Szene war nicht im Drehbuch, als ich es las. Als Michel mich auswählte, sagte er: Der Produzent will die Szene nicht im Film, aber kann ich dich dazu bringen, diese Szene zu lesen? Ich las sie und dachte: wir müssen die drehen! Für mich ist es eine Schlüsselszene, die etwas über die unbewussten Aspekte der Figur verrät. Es gibt das Trauma, das Unterbewusste und etwas in ihr, dass sie nicht unter Kontrolle hat. Das meinte ich, als ich sagte, sie gehe manchmal zu weit.
Bahias politische Einstellung beeinflusst stark ihre Beziehungen. Wie sehr werden Sie von ihren Positionen beeinflusst?
Meine Ideale finden sich eher in meiner Kunst. Wenn ich Drehbücher auswähle, dann, weil meine Lebensvorstellungen mit denen anderer – des Autoren – konfrontiert werden. Sie können sich plötzlich verändern oder sogar ein wenig erschüttert werden.
Sie sind durch Zufall Schauspielerin geworden, als Sie jemandem zum Casting begleiteten….
Ich habe jemanden begleitet, aber ich wollte schon immer Schauspielern werden. Für mich war es ein Beweis für die vertrackten Zufälle. In einem Moment habe ich gelacht, im nächsten geweint. Den „Klick“ gab es bei mir nicht: als Kind sah ich keine Kinofilme und wollte nicht zum Film wegen irgendwelcher Schauspieler. Der einzige Grund war der Umgang mit Emotionen. Als mir meinen Freundin sagte, sie gehe zu einem Casting, musste ich einfach mitkommen. Und ich hatte Glück.
Ihre Brüder waren Ihr erstes Publikum. Finden sie nun, dass die Rolle ideal für Sie ist, weil sie als Kind eher wild waren?
Ja, sie haben das immer gewusst. Berühmtheit ist ihnen egal.
Wie oft findet man Ihren Namen im Französischen?
So häufig wie Arthur Martins! Es ist ein sehr französischer Name.
Waren sie als Kind eher wild aus Angst, ihr Name könnte sie gewöhnlich erscheinen lassen?
Als Kind ist nicht der Familienname so wichtig, sondern der Vorname. Als Sara kann man jeder Gemeinschaft angehören – arabischen, jüdischen, englischen. Es ist wie ein Schlüssel, mit dem man überall Einlass erhält. Ich hatte Glück, Sara zu heißen. Du kannst mit einer Menge Kinder befreundet sein, die glauben, du seist eine aus ihrer Gemeinschaft. Sie fragen nicht: Wer bist du eigentlich? Später, mit meinem Familiennamen, konnten sie mich necken. Aber sie waren nicht so schlimm, wie Kinder sein können.
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