“Wir sind keine Sklavenhändler“, sagt Dr. Menzel (Jeanette Hain) den wohlhabenden Interessenten, denen sie die Ware vorführt. Hermann (Hans-Michael Rehberg) und die krebskranke Anna (Ingrid Andree) wollen sich am Lebensabend etwas besonderes leisten. Noch einmal jung sein, ein zweites Leben in neuen Körpern, gekauft von Apolain und Sarah. Die jungen Schwarzen (B. J. Britt, Regine Nehy) aus Mali und Äthiopien stellen sich gegen Bezahlung als Wirte für Annas und Hermanns Persönlichkeiten bereit, während ihr eigener Charakter medikamentös unterdrückt wird. Nur vier Stunden pro Nacht gelangen Apolain und Sarah zu Bewusstsein – genug, um sich ineinander zu verlieben und ihren Entschluss zu bereuen.
Es wäre leicht Transfer zu sehen, wenn Anna und Hermann dem Klischee gewissenloser Ausbeuter entsprechen würden. Doch so einfach macht es Damir Lukacevic dem Zuschauer nicht. Das alte Paar ist ebenso menschlich und ausgeliefert wie ihre zukünftigen alter egos. Der Handel ist für beide Parteien ein Kompromiss mit dem Schicksal. Die eigene Jugend können sie nicht zurückkaufen, nur eine fremde, die nie ganz die ihre sein wird. Nach ihrem Erwachen in dem neuen Körper sieht Anna nicht den Mann, in den sie sich als junges Mädchen verliebt hat und erblickt nicht das Gesicht, das mit ihr gealtert ist. Dass Lukacevics bewegendes Seelenspiel selbst solch intime Verluste fühlbar macht, bezeugt seine Wahrhaftigkeit. Hermann und Anna erkennen das Menschenverachtende des Transfers, der sie über die Welt und sich selbst erschrecken lässt. In seiner ethischen Relevanz und sozialkritischen Vielschichtigkeit verknüpft die Adaption einer Erzählung Elia Barcelas Elemente von Charakterdrama, Romanze und moralischer Allegorie zu einem stillen Horror-Poem. Die Verlustängste von Stanislav Lems “Solaris” und moderner philosophischer Science-Fiction im Geiste von Moon und Gattaca klingen in der lyrischen Variation von Soylent Green an, in der die Unterprivilegierten bei lebendigem Leibe von der Oberschicht konsumiert werden.
Die Gründe des jungen und des alten Paares spiegeln einander: Liebe und Angst vor der eigenen Sterblichkeit. Zehn Prozent der Millionen erhält die Familie des Wirts. Ein verschwindend geringer Anteil verglichen mit dem erbrachten Opfer, doch er genügt, um einen Lebensbruchteil in Sicherheit angenehmer erscheinen zu lassen, als ein Dasein in Elend und Krieg. In unaufdringlichen Fragen, die aus den zurückgenommen Szenen erstehen, forscht Lukacevic nach Selbstwert und Ichbewusstsein aller Beteiligten, unter denen es weder Täter noch Opfer gibt. Sarah und Apolain wissen, worauf sie sich einlassen. Die Freiwilligkeit macht ihr Handeln fast ebenso erschreckend wie das ihrer Käufer, weil es daran erinnert, dass die Achtung vor dem eigenen Leben und dem Fremder beide unendlich fragil sind. Transfer gibt vor, eine Zukunftsvision zu sein, doch das ist er nicht. Die bessere Versorgung in Weltwirtschaftsländern lässt die Menschen langsamer altern und länger leben. Ein neuer Körper ist noch nicht käuflich, aber rekonstruierte Bruchstücke davon, Prothesen, Sehhilfen, medizinische Computertechnologie und Medikamente, um den eigenen zu erhalten. Menschen verkaufen ihre Organe, ihr Sperma, ihre Kinder an Kinderlose und sich selbst als Leihmutter. Der Körper ist die letzte Ressource, welche die Wirtschaftsmächte den Entwicklungsländern noch nehmen können, der Rest der Ressourcen ist längst aufgebraucht, verzehrt, verdaut und ausgeschieden.
Die Anfangsszene deutet unübersehbar auf die Rassismus-Thematik, doch behutsam behandelt wie die psychologischen Veränderungen enthüllt es die latenten Ressentiments Hermanns gegenüber seinem veränderten Äußeren, das seine Bekannten nicht mit ihrer Vorstellung einer “weißen” Persönlichkeit vereinen können. Die Stigmatisierung von Farbigen und Homosexualität erscheint ebenso tief in der Gesellschaft verwurzelt wie Klassendenken und Elitebewusstsein. Indem Transfer außer Schwarzen als übliche Wirte auch weiße Wirte zulässt, umfasst der Subtext einen materiellen Sozialdarwinismus, der einer Elite Unsterblichkeit zum Preis des Lebens der Unterschicht erlaubt. Die aufwühlende Science-Fiction-Fantasie braucht keine visuellen Spielereien und grellen Effekte für ihre menschliche und moralische Parabel. Die minimalistische Inszenierung verstärkt die Authentizität des dramaturgischen Balanceakts zwischen Romanze und Drama, dessen Kernkonflikt danach fragt, was er ist: Utopie oder Dystopie, Wunschtraum oder Alptraum?
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