„Es dauerte nicht lange, bis ganz Paris mich zum größten Libertin erklärte“, lautet eines der Bekenntnisse eines jungen Zeitgenossen, die Pete Doherty in Sylvie Verheydes prätentiöser Filmbearbeitung von Alfred de Mussets halbautobiografischem Roman gedankenlos vor sich hin nölt. Es sollte nicht lange dauern, bis der Rest der Welt den skandalumwitterten Rockmusiker zum größten Filmfehlgeleiteten erklärt. Daran reicht höchstens Madonna, die gegenüber Dohertys defätistischem Dandy Octave Idealbesetzung der älteren Geliebte Brigitte gewesen wäre. Vielleicht ließe die Amour fou zweier amimischer Musiker-Schauspieler, die ihren Gemütszustand in süffisante Phrasen kleiden, sich als irgendein künstlerischer Rebellionsakt interpretieren.
Stattdessen verkörpert die sanfte Witwe, die vor theatralischen Provinzkulissen das erkaltete Herz des materiell begüterte, emotional verarmte Octave erwärmt, Charlotte Gainsbourg. Obwohl in der mit unnützen Ergänzungen der Regisseurin ausstaffierten Liebelei statt nuanciert mehr routiniert, unterstreicht ihr Schauspiel die darstellerische Apathie Dohertys. Pop-Idolatrie und Sensationskalkül sind offenbar ausschlaggebend für die (Fehl)Besetzung. Fast schuldpflichtig wirkt es, dass Doherty während der Dreharbeiten mit dem Gesetz aneinander geriet, da er angeblich in einem Plattenladen stahl. Solch jungenhafte Unbotmäßigkeit passt skurrilerweise auf seinen kostümierten Wiedergänger Octave. Als dessen Geliebte Elise (Lily Cole), die wenn schon nicht in seinem Herzen wenigstens in seinem Bett einen festen Platz innehat, ihn mit einem seiner Freunde betrügt, reagiert Octave wie ein trotziges Kind.
Zuerst will er den (Liebes)Spielverderber ganz doll verkloppen, aber in der gesellschaftlichen Klasse des Hauptcharakters und der filmischen Klasse des Historienstücks zieht man alles Register und den Revolver im Duell. Das übersteht er schwergetroffen, jedenfalls auf persönlicher Ebene. Die Kugel verwundet tödlich sein durch Elises Fremdgehen ohnehin angeschlagenes Männlichkeitsgefühl. Dafür kennt der Schnösel nur ein Heilmittel: Orgien. Weil seine Gefährtin nicht mehr mit ihm spielt, spielt Octave zur Strafe mit allen anderen und gibt sich, nachdem er seinem Kumpan Degenais (August Diehl) ausgiebig sein Leid klagt, dem losen Leben hin. Verheydes Vorstellung von Dekadenz ist ebenso prüde wie ihr Konzept von gesellschaftlicher Restriktion und Doppelmoral harmlos. Ihr oberflächliches Sittengemälde zeigt sich nur schamlos, wenn es mit dem exzessiven Ruf seines Stars kokettiert.
Würde nur ein klitzekleines bisschen davon auf die cineastische Comedie larmoyante abfärben, wäre die womöglich nicht ganz das hohltönende Monolog-Melodram, zu der Dohertys träge Hintergrunderzählung es macht. Die Leiden des jungen Libertin scheinen nur eine gefällige Pose Octaves, den die des Moralverächters anzuöden beginnt. In einer rotzig unter dem Zylinder hervorblickenden, sich in Kutschen vergnügenden, sich aus verstiegenen Ehrbegriffen und Ennui duellierenden Überdruss-Gesellschaft bleibt Octave als letzte Trotzgeste der Rückzug aufs Land. Dort gibt es noch Menschen, die sein kindischer Charme einnehmen kann; ein Muster, das sich zwischen Doherty und Verheyde zuvor offenbar real bewährte. Zu sagen, die Kunst imitiere das Leben wäre allerdings zuviel des Guten gegenüber der enttäuschenden Romanadaption, das allein in der Länge episch ist.
Verheydes Werk macht keinen Unterschied zwischen Zeitgeist und kommerzieller Berechnung und ist in dieser Hinsicht tatsächlich, wofür der Originaltitel es ausgibt: “Ein Kind des Jahrhunderts“ – das sich von seiner geistlosen Seite zeigt.
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