Die einsamen Almen Siebenbürgens sind die karge Szenerie in der Titus Faschinas Lebens- und Naturdokumentation den alten Dumitru Stanciu und den 16-jährigen Sohn Radu beim Schafehüten beobachtet. Dem Himmel ganz nah ist jene zerklüftete Landschaft des transsylvanischen Karpatenbogens, in der die Schwarz-Weiß-Reportage eine uralte Lebenstradition beobachtet. Die Hirtenkultur, zu deren letzten Vertretern Maria, Dimitru und ihr Sohn zählen, ist im Verschwinden begriffen.
Dies ist nicht Ihr erster Film über Bergschäfer.
Ich komme aus Ostberlin. Wir sind als Studenten im Sommer über die Karpaten-Kämme gezogen. Das war eine der Möglichkeiten, eine gewisse Freiheit zu erfahren. Diesen einsamen Männergesellschaften haben mich schon immer interessiert bei den Hirten. So ist das entstanden.
Ist es schwer zu solch einer geschlossenen Gemeinschaft Kontakt aufzubauen?
Diese Schäfer sind nochmal außerhalb der Dörfer, ganz für sich alleine. Entweder kleine Familien wie wir es haben oder drei, vier Männer, die den ganzen Sommer oder auch Winter vom Dorf entfernt verbringen. Da das eine sehr stille, stolze Gemeinschaft ist, braucht man einen gewissen Zeitraum, ehe man diese Schwelle übertreten kann. Aber wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben, ist es eine sehr stabile, langwierige Beziehung.
Wie fanden Sie zu diesem Thema und Eingang in diese abgeschiedene Gemeinschaft?
Das ist ganz einfach. Wir sind als Studenten immer Richtung Karpaten gefahren. Das war auch eine Form von Freiheit. So kam der erste Kontakt mit den transsylvanischen Schäferkulturen. Das erste mal war ich so ´83, ´84 in dieser Gegend. Ist es einfach oder schwer, Kontakt zu bekommen …? Mit unserem Hirten und der Familie habe ich jetzt noch ein sehr intensives Verhältnis. Vorige Woche war er das erste mal in Deutschland bei einem Festival in Wiesbaden.
Der junge Sohn Radu?
Nein, der Alte, Dumitru. Einer muss bei der Herde bleiben. Die Mutter alleine konnte das nicht. Er hat nach der Vorstellung eine Stunde Filmgespräch auf der Bühne gemacht, als ob er sein Leben nichts anderes mache als Filmgespräche. Ganz souverän. So still und zurückgezogen diese Hirten sind, sind sie, wenn sie Vertrauen haben und man eine Beziehung aufgebaut hat, sehr kommunikativ.
Das Leben der Hirtenfamilie könnte fast in der frühen Moderne stattfinden.
Das ist in den Dörfern ein bisschen anders, da gibt es die ganzen „Segnungen“ der Moderne. Oben auf den Almen gibt es das nicht. Er fährt Pferdewagen, es gibt keinen Strom. Das Problem ist die EU-Moderne, weil die einfach verhindert, dass sie da arbeiten, dass sie ihre Lebensmittel produzieren können. Das ist keine arme Kultur. Sie können von ihrer Hände Arbeit leben – wenn man sie denn lässt.
Können Sie das näher beschreiben?
Zum Beispiel können die Hirten auf ihren Almen keine Lebensmittel mehr herstellen. Wenn sie die Milch jeden Tag mit ihrem Pferdewagen ins Tal fahren sollten, ist das nicht zu leisten. Dumitru machte den Käse schwarz, findet aber keine Abnehmer, weil der industriell in Griechenland produzierte Käse billiger ist. Er hat 2.000 Kilo Käse in seinem Keller. Den könnte er verkaufen für zwei Euro das Kilo. Das ist weniger als er investiert hat.
Wie fiel die Entscheidung in schwarz-weiß zu filmen?
Für Kameramann Bernd Fischer und mich war klar: wir wollen den Film in schwarz-weiß, da es die Kontraste, die dort existieren, gleichsam miterzählt: Kälte oder Hitze, Helligkeit oder Dunkelheit. Wir erzählen nicht nur die Geschichte eines Hirten in den transsylvanischen Karpaten, sondern eines alten Europas. Diese Zeitlosigkeit war ein wichtiger Punkt für die Entscheidung zu schwarz-weiß.
Radu glaubt, Feuer durch Blitzschlag könne nur Milch löschen …
Vielleicht stimmt das ja auch? Das ist die Kraft des Mythos. Weil dieser Blitz vom Himmel kommend so ungeheuer ist, kann man, wenn er einschlägt, nicht profan mit Wasser löschen. Es gibt wunderbare Beispiele, dass dieser Karpatenraum einen reichen Mythenschatz hat. In den Wäldern leben Waldweibl und Nebelfeen. Man darf nachts nicht alleine durch die Wälder gehen. Erwachsene Männer halten sich an diese Mythen. Das spielt eine wichtige Rolle in der Konstitution der Gesellschaft.
Hatten auch Sie ein unheimliches Erlebnis?
Wir hatten mehr technische Probleme. Bei minus 25 Grad zu drehen, wenn der Wind über die Berge pfeift, geht ganz schön in die Knochen – und in die Technik. In einer Nacht ist das Lämmchen geboren worden, zwei Monate zu früh. Die Kamera wurde nicht schnell genug warm, um die Geburt zu drehen. Diese Urwüchsigkeit der Natur hat man als Macher gespürt.
Werden Sie sich noch weiter mit den Bergschäfern der Karpaten beschäftigen?
Es ist eine Geschichtenlandschaft, die viele starke Geschichten in sich trägt. Und Film ist ein visuelles Medium. Unmittelbar habe ich nichts in Planung, aber ich werde sicher zurückkommen. Es wäre interessant in 20 Jahren zu gucken, was aus Radu geworden ist.
Denken Sie auch an rein narrative Filme ?
Man findet so viel in der Realität, da muss man Geschichte nicht fiktionalisieren. Es gibt zwei, drei Projekte, die ich in der nächsten Zeit machen werde. Dokumentarische Stoffe.
Über …?
Geburt und Tod, diese zentralen Pforten des Lebens, in verschiedenen Kulturkreisen. Aber das ist noch nicht so weit. Kinofilme in Deutschland müssen sehr lange finanziert werden. Wir haben für Dem Himmel ganz nah fast zehn Jahre gebraucht.
Wie wird der Film in Siebenbürgen aufgenommen?
Der Wiedererkennungseffekt ist viel stärker als bei uns. Was ich als Reflektion wichtig fand war, dass die Leute gesagt haben: Wir erkennen uns wieder. Das ist unsere Geschichte. Man hat die Verantwortung für das Gefilmte. Es ist sehr intim, wenn gezeigt wird, wie die Familie abends ins Bett geht.
Es herrscht großer Einklang zwischen stillen Elementen und der Filmmusik.
Ich wollte einen Film machen, der auf drei Ebene lebt: der visuellen, der der Protagonisten und der auditiven Ebene. Die Musik von Alexander Balanescu spielt eine wichtige Rolle. Es sind traditionelle Themen, neu arrangiert. Eines der berühmtesten rumänischen Volkslieder, hat er bearbeitet. Der Text erzählt einer stirbt, einer wird geboren, so ist das Leben.
Wie stark ist die moderne Welt dort oben vertreten?
Auf den Almen ist sie gar nicht vertreten. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist ein kleines Radio und ein Handy, das mit einer Autobatterie aufgeladen wird. Das Problem sind nicht technologische Neuerungen. Das Problem ist, mit der EU-Modernisierung ändern sich die Normen so schnell und massiv, dass traditionelle Kulturen nicht hinterher kommen. Die Hirten müssten ihre Milch zu Sammelstellen in die Täler bringen, um Käse machen zu lassen unter hygienisch einwandfreien Bedingungen. Wer den Film sieht kann spüren, wie groß diese Entfernung ist. Davon kann die Familie nicht leben. Notwendig wären faire Bedingungen.
Solche wirtschaftlichen und politische Faktoren treten im Film kaum auf.
Wir wollten einen Film machen, kein Flugblatt. Ich finde, der Film ist sehr politisch. Er versucht aufmerksam zu machen auf eine Kultur am Rande Europas, die kaum in unser Bewusstsein tritt. Wenn sich der Zuschauer Gedanken macht, dass es dort etwas gibt, was schützenswert ist, hat der Film eine Menge erreicht.
Hat diese Art Einheit von Mensch und Natur eine Chance?
Ich weiß es nicht. Was man beobachten kann, ist dass an vielen Stellen der Almen blaue Tupfen durchkommen. Das ist der Wald, der wiederkommt. Man könnte es als Renaturierung beschreiben, aber auch als Entkultivierung. Das ist ein ambivalenter Vorgang. Was wir beobachteten ist, dass dort offensichtlich etwas zu Ende geht. Man sieht im Film, dass die Nachbarn abhauen, die alten Sennhütten veröden.
Wie stark sind dort Intoleranz und Rückständigkeit, die sich im Aberglauben andeutet?
Mythen haben immer etwas mit „Aberglauben“ zu tun. Interessant ist, dass in oralen Kulturen dies sehr lebendig ist und vom Vater auf den Sohn weitergegeben wird.
Der Film zeigt eine strenge Aufgabentrennung zwischen Mann und Frau, auf die nie Bezug genommen wird.
Es ist eine andere Gesellschaft, die funktioniert nach anderen Regeln. Sie funktioniert seit Jahrhunderten so. Die Arbeitstrennung ist aber nicht nur geschlechtlich bedingt, sondern man sieht, dass der Junge eine andere Funktion als sein Vater, der Hirte, hat. Er wird irgendwann da rein wachsen – möglicherweise. Das hängt davon ab, ob er eine Frau findet, die mit ihm dort oben auf der Alm leben will.
Ist das Idyllische des Hirtenlebens vielleicht Verzerrung einer harschen Realität?
Man muss aufpassen, dass man das Exotische nicht soweit idealisiert und überhöht, dass man Problemlagen verdrängt. Man muss sich bewusst werden, dass man reflektieren muss.
Die gezeigte Einsamkeit hat etwas von Isolation.
Seit Generationen leben die Leute so, konnten ihre Familien ernähren und haben ihre Kultur tradiert. Es geht darum, diesen Kulturen Zeit zu geben in ihrer Transformation. Isolation hat nichts damit zu tun, dass man allein ist. „Alleine“ und „einsam“ sind unterschiedliche Begrifflichkeiten. Im Film wird wenig gesprochen, denn durch lange Tradition müssen bestimmte Sachen nicht besprochen werden. Sie funktionieren über Handgriffe. Es ist eine stille Kultur.
Viel Ihnen die Rückkehr in hektische Alltagswelt schwer?
Der Film zeigt die Situation dort oben, die filmische Situation war eine andere. Wir haben viele Nächte dort oben verbracht, aber waren sieben Leute. Das ist ein Riesenteam für so einen Film. Diese Einsamkeit, die der Film erzählt, ist nicht die der Dreharbeiten. Das war Stress von morgens bis abends. In sofern ist da die Rückkehr nicht so schwer gefallen.
Glauben auch Sie, dass aus dem möglichen Untergang dieser Kultur etwas Neues entsteht?
Der Lebenslauf von der Geburt zum Tod ist das wesentliche Element des Lebens dort. Dass wir es so erzählen, war eine bewusste Entscheidung. Wenn ich sage: ich zeig den Tod, interessiert mich nicht das spektakuläre Bild, sondern die Funktion, die es in dieser Kultur hat. Von daher war klar, wenn ich den Tod zeige, zeige ich ihn als ungeschnittene Plansequenz. Das ist für mich die höchste Form des Dokumentarfilms.
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