Märchenhafte, mythische und menschliche Monster verschmelzen in der Titelkreatur, die am geheimnisvollen Waldschauplatz Arnaud Malherbes ersten Kinospielfilms ihr Unwesen treibt – oder doch nur in der Phantasie des kindlichen Hauptcharakters? Die Frage, ob der Menschenfresser der unausgegorenen Genre-Mixtur komplett Einbildung ist, eine halluzinatorische Übersteigerung realer Ereignisse oder ein überirdisches Geschöpf ist eine von zu vielen, die der französische Regisseur und Drehbuchautor unbeantwortet nie beantwortet. Wie auch die, ob die Unklarheiten Absicht sind oder schlicht Überforderung.
Letzte zeigt sich deutlich in Malherbes Umgang mit Themen und Motiven, die ebenso vielschichtig sind wie abgenutzt. Erstes zeigt sich wenig, Zweites umso mehr in einer aus Standardszenen und Dialogphrasen zusammengesetzten Handlung. Die vorherrschende Perspektive des 8-jährigen Jules (Giovanni Pucci) zeigt weder Gespür für kindliche Erlebenswelten, noch für die Verarbeitung psychologischer Traumata. Die plagen Jules und Mutter Chloé (Ana Girardot), die aus einer gewalttätigen Beziehung aufs Land flieht, wo der nächste übergriffige Partner wartet.
Chloés Liaison mit dem Landarzt Mathieu (Samuel Jouy), in dem ihr Sohn den Mörder eines in der Gegend verschwundenen Jungen sieht, entwickelt sich als von abgegriffenen Genre-Klischees wie finster guckenden kleinen Mädchen und schroffen Dörflern sowie in ihrer Einfallslosigkeit fast ärgerlichen Jump Scares unterbrochenes Familiendrama. Wenn kurz vor Ende die phantastischen Elemente durchbrechen, wirkt dies wie ein schäbiger Trick, um die losen Handlungsstränge und irgendwie zusammenzuzwingen. Gruselig ist daran höchstens die sich herauskristallisierende Botschaft.
Einige nebelige Waldbilder und Nachtaufnahmen von Kamerafrau Pénélope Pourriat und effektives Sounddesign sind noch das Beste an Arnaud Malherbes verworrener Mischung aus Melodram, Mystery und Monsterfilm. Die derivative Story wirkt noch uninspirierter dadurch, dass ihre altbekannten Elemente stets in konventionellster Form inszeniert werden. Passables Schauspiel kann den Mangel an Spannung und Dramatik nicht auffangen. Die nebenher kolportierten amateurpsychologischen Mythen, dass Trauma-Bewältigung reine Willenssache wäre und die Natur jeden Schrecken überwinde, sind allerdings ziemlich gruselig.
- OT: Ogre
- Director: Arnaud Malherbe
- Screenplay: Arnaud Malherbe
- Country: France, Belgium
- Year: 2021
- Running Time: 103 min.
- Cast: Ana Girardot, Giovanni Pucci, Samuel Jouy, Yannik Mazzilli, Sophie Pincemaille, Fabien Houssaye, Félix Malherbe, Emile Thenard, Roman Malherbe, Charlie Thenard, Claire Marin, Gwenaël Fournier, Clément Galzenati, Cannelle Helgey, Morgane Lacroix, Stéphanie Myevs
- Release date: –
- Image © PLAION PICTURES