Wenn sie sehe, dass sie alle festen Boden unter den Füßen hätten, freue sie sich, sagt Gitte (Corinna Harfouch) der Tischrunde. Ehemann Günter (Ernst Stötzner), mit dem sie dreißig Jahre verheiratet ist, die Söhne Marko (Lars Eidinger), der sein erstes Buch veröffentlicht, Jakob (Sebastian Zimmler), der eine Zahnarztpraxis führt und dessen Freundin Ella (Picco von Groote), die frisch bei eingezogen ist. Sie freue sich, sagt Gitte, in dieser Hinsicht zu ihnen gehören zu können. Tut das die gutsituierte Hausfrau, Mutter und Gattin? Ihre Versicherung zerrinnt im Wiederholen des trügerisch Gewissen: „Fester Boden, fester Boden…“ Tatsächlich bewegen sich die Protagonisten in Hans-Christian Schmidts flüchtiger Familienskizze auf dünnem Eis.
Feine Risse darin weiten sich schon zu Beginn des austarierten Ensemblestücks zu emotionalen Abgründen. Gittes bringt mit einem persönlichen Entschluss zu Selbstbestimmtheit Ehe- und Sohnemann gegen sich auf. Erster wollte nach dem Verkauf seines Verlags selbst ein hehres Werk verfassen: „Motive und Erzählstrategien bei den Assyrern“ Spannender klingt die Recherche-Reise, die er plant. Neuland, mental, beruflich oder partnerschaftlich suchen alle. Das Drehbuch klopft der Reihe nach ihre Perspektiven ab. Solide klingt es nur bei Gitte. Ihr werden Psychopharmaka aufgedrängt, damit sie sich ins erstickende Wohlstandsspießertum fügt. Running to the shelter of mother´s little helpers. Krankheits- und Ehejahre decken sich akkurat. Dergleichen amüsante Spitzen folgen noch mehr.
Einst hatte Jennie alles. Sie schlief auf einem runden Kissen im oberen und auf einem viereckigen Kissen im unteren Stockwerk. Sie hatte einen eigenen Kamm, eine Bürste, zwei verschiedene Pillenfläschchen… Und sie hatte einen Herrn, der sie liebte.
Higgelty Piggelty Pop
Einer ist Maurice Sendaks Kinderbuch “Higglety Pigglety Pop”, dessen Hunde-Protagonistin sich aus dem Goldenen Käfig wagt. Genau wie Gitte, deren Herrchen längst eine andere an der Leine hat. Um Mitternacht packt die Terrier-Dame der Parabel ihre Sachen und auch von Mama fehlt zum Schrecken der Söhnchen eines Morgens jede Spur. Sie will in Anspielung auf den Buchuntertitel nicht mehr als alles, sondern mehr als all das, was sie hatte: ein adrettes Lügenkonstrukt, erbaut auf patriarchalischem Fundament. Was man liebe, müsse man loslassen, sagt sie: „Wenn es zurückkommt, dann bleibt´s.“ Kinder und Mann müssen sie endlich los lassen, dann kommt sie womöglich zurück – zu sich selbst.
- OT: Was bleibt
- Regie: Hans-Christian Schmid
- Drehbuch: Bernd Lange
- Produktionsland: Deutschland
- Jahr: 2012
- Laufzeit: 84 min.
- Cast: Corinna Harfouch, Lars Eidinger, Ernst Stötzner, Sebastian Zimmler, Picco von Groote
- Kinostart: 06.09.2012
- Beitragsbild © Pandora Filmverleih / Berlinale