Verbergen und entdecken, Macht und Ohnmacht der Blicke: John Carpenters Meilenstein des Horrorgenres treibt mit Figuren und Zuschauern ein mörderisches Versteckspiel.
Halloween: Die Handlungsnacht von John Carpenters 1978 erschienenem Horrorklassiker ist jene, in der die Totengeister auf Erden wandeln und nach Körpern suchen, die sie besitzen können. Die Lebenden verkleiden sich, um sich vor den Gespenstern zu verbergen. Die Ursprünge ähneln der unheimlichen Variation eines Kinderspiels, dem auch die Erwachsenen nicht entgehen. Eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein. Wer gefunden wird, verliert – nicht nur die Runde, sondern sein Leben.
Den schwarzen Mann könne man nicht töten, sagt Tommy seiner Babysitterin Laurie (Jamie Lee Curtis). An Halloween soll sie auf Tommy und seine Schwester aufpassen. Doch vor dem anderen kleinen Jungen aus dem beschaulichen Haddonfield gibt es kein Entkommen. 15 Jahre zuvor hat Michael Myers (Nick Castle) seine Schwester ermordet. „Das Böse ist entkommen!“, entdeckt der Arzt in Michaels Anstalt. Das Böse ist auf dem Weg zurück nach Haddonfield.
Michaels Rückkehr spiegelt die der Toten. Seine unnatürliche Resistenz gegen Waffen impliziert seine wahre Natur als Personifizierung unbestimmter Furcht. Sie kann selten besiegt werden, meist nur unterdrückt. Bis sie aus dem Unterbewusstsein mit neuer Kraft hervorbricht, eines Tages oder eines Nachts oder in der immer gleichen Nacht.
Der Halloween-Aberglaube erfüllt sich bereits in der in einer hypnotischen Kamerafahrt gefilmten Eröffnungsszene. Schlafwandlerisch mordet der sechsjährige Michael Myers (Will Sandin), als habe einer der Totengeister von ihm Besitz ergriffen. Der Blick aus seinen Augen bemächtigt und entmachtet den Zuschauer als eine fremde Sicht, die er nicht lenken kann. Blicke sind das zentrale Motiv von Halloween.
Noch bevor die Eingangssequenz Michael als bedrohlichen Voyeur zeigt, etabliert ihn der Vorspann als allmächtigen Beobachter. Durch die Augenhöhle einer Kürbis-Laterne wird der Zuschauer in den Filmkosmos gezogen. Sich verbergen und entdeckt werden steht im Zentrum des mörderischen Versteckspiels, das sich in der finalen Szene zwischen Michael und Laurie entspinnt und das an den Ursprung des Totenfestes anknüpft. Symbolisch blendet Laurie das allsehende Auge ihres Verfolgers, wenn sie ihm ins Gesicht sticht. Die aufgestaute sexuelle Frustration der Figur, die neben Michael die einzige enthaltsame ist, scheint symbolisch in dem Gegenangriff auszubrechen. Als letzte Überlebende eines Slashers verkörpert Laurie einen der Prototypen des Final Girl, wie es auch in Texas Chainsaw Massacre, A Nightmare on Elm Street und Friday the 13th auftritt.
In seinen Entstehungsjahren wurde das Slasher-Genre, zu dessen stilbildenden Werken Halloween zählt, vorrangig als frauenfeindliche Gewaltpornografie kritisiert. Die der aktuellen Diskussion um angeblichen Torture Porn ähnliche Ablehnung wurde erst durch spätere analytische Ansätze abgelöst, die den feministischen Subplot hervorhoben. Als sich selbst aktiv Verteidigende und Gegenaggressorin ist das Final Girl, die einzige Überlebende, Gegenteil der klassischen Horrorfilm-Heroine, die meist von einer höheren, männlichen Instanz – dem Helden oder der Polizei – gerettet wird. Lauries Verteidigung ist einer der raren brutalen Momente in einem Meisterstück zermürbender Suspense, das auf die subtile Bedrohung des Schemenhaften am Bildrand vertraut.
Dass die zentrale Filmfigur jeder Individualität beraubt scheint, macht das Grauen noch bedrückender. Michael Myers ist kein Charakter, sondern Symbolfigur: „The Shape“ nennt ihn der Abspann. Seine Konturlosigkeit macht ihn zur möglichen Projektionsfläche der persönlichen Ängste der Zuschauer. Die Hauptfigur des beklemmenden Horror-Thrillers ist eine Variable, die ausschließlich verkleidet auftritt. Seinen ersten Mord begeht Michael im Clownskostüm, seine Mordserie in dem gestohlenen schwarzen Overall und der weißen Maske, mit denen er zur Ikone der modernen Populärkultur wurde. Die einzige Szene, die sein Gesicht enthüllt, zeigt darin nur ausdrucksloses Starren. Michael ist kein gewöhnlicher Irrer, kein blutrünstiger Perverser, er ist tatsächlich „The Shape“ , ein Umriss, der demaskiert noch gesichtsloser wirkt als verhüllt. Den Schwarzen Mann nennt ihn Tommy. Das Grauen kann auch Laurie am Ende nur in kindlicher Terminologie ausdrücken: „It was the Boogeyman.“
Eine sachlichere Beschreibung findet selbst der Psychiater Dr. Loomis (Donald Pleasence) nicht. Indem Carpenter ausgerechnet den im Horrorgenre gewöhnlich nüchternen Mediziner die reine Bosheit seines Patienten betonen lässt, unterstreicht Carpenter Michaels Über- und Unmenschlichkeit. Er ist der Boogeyman, der Schwarze Mann, dessen Zeit die Nacht ist. Nachts tötet Michael erstmals, auf die Nacht wartet er, bevor er wieder mordet, in die Nacht verschwindet er. Die grausige filmische Einschlafgeschichte endet mit Loomis’ Blick in die Nacht. Es ist Michaels Nacht: Halloween.
- Beitragsbild © Warner Bros.