Gleich des Mörders, der das verkommene Wien der Zwischenkriegsjahre mit einer Reihe blutrünstiger Taten erschüttert, legt Stefan Ruzowitzky mehr Wert auf Schockeffekte als Kunstfertigkeit. Zweite zeigt sich vorrangig in den wortwörtlich caligaresken Kulissen des phantasmagorischen Psychothrillers. Dessen expressionistische Inszenierung zitiert überdeutlich die Kino-Klassiker des Weimarer Kinos, das zur Handlungszeit seinen Höhepunkt erlebte. So gelangt der kriegstraumatisierte Hauptmann Peter Perg (grimmig: Murathan Muslu) in die grundveränderte Heimat auf einem griechischen Schoner des bezeichnenden Namens Styx.
Die szenische Referenz an Murnaus Nosferatu unterstreicht die sozialstrukturelle Loslösung der Männer, die abgerissen, physisch und psychisch versehrt aus zweijähriger Kriegsgefangenschaft zurückkehren. Für die Gesellschaft sind sie längst tot; Relikte monarchistischer Prinzipien, die durch neue abgelöst wurden. Die Sinnlosigkeit des Opfers wird zum Katalysator der Schrecken des Krieges, die in Gestalt verstümmelter Soldaten und verwaister Kinder das schummerige Gassenlabyrinth bevölkern. Doch das (un)menschliche Gruselkabinett ist gleich Leinwand-Hintergrundbildern und verwinkelten Gebäuden nur cineastischer Kolorit.
Kaum je wagt das einer eigenen Form von Nostalgie frönende Kameraauge den Blick in die psychische Hölle hinter den filmhistorischen Fassaden. Deren computergenerierte Künstlichkeit erreicht nie die parabolische Plastizität der zitierten Stummfilm-Szenarien, die subjektive Verzerrung als objektive Realität externalisierten. Perg, der auf Mörderjagd selbst ins Polizeivisier gerät, und die ihm zugetane Gerichtsmedizinerin Körner (Liv Lisa Fries) bleiben Statisten einer Horror-Hommage, deren leicht durchschaubarer Plot im doppelten Sinne im Schatten der Albtraum-Architektur versinkt.
Die Handlung der grausigen Groteske wirkt mehr motiviert von den suggestiven Schauplätzen als Spiegel und Katalysator kollektiver Traumatisierung statt konkreten dramaturgischen Konzepten. Nur vage erfasst Regisseur Ruzowitzky die korrosiven Kräfte frustrierter Vaterlandstreue und ideologischer Interferenz. Vorbuchstabierte Kritik an toxischer Männlichkeit bleibt reine Behauptung, die der Mangel an Protagonistinnen und latente Homophobie untergraben. Umso suggestiver wirkt die düstere Atmosphäre voll scharfkantiger Schatten, bizarrer Bluttaten und hohläugiger Häuser, inmitten der Fanatismus und Verrohung größeres zukünftiges Grauen heraufbeschwören.
- OT: Hinterland
- Regie: Stefan Ruzowitzky
- Drehbuch: Stefan Ruzowitzky, Robert Buchschwenter, Hanno Pinter
- Produktionsland: Germany, Luxembourg, Austria, Belgium
- Jahr: 2020
- Laufzeit: 99 min.
- Cast: Matthias Schweighöfer, Liv Lisa Fries, Trystan Pütter, Margarete Tiesel, Max von der Groeben, Murathan Muslu, Stipe Erceg, Karik Samuel, Timo Wagner, Konstantin Rommelfangen, Jeanne Werner, Aaron Friesz, Marc Limpach, Germain Wagner, Nilton Martins, Lukas Walcher
- Kinostart: 07.10.2021
- Beitragsbild © Beta Cinema GmbH