Life, above all lautet der Originaltitel von Oliver Schmitz‘ hochemotionaler Verfilmung des gleichnamigen Romans Allan Suttons. In seiner kalkulierten Kombination aus Kinderfilm und Melodram stellt der 1960 in Südafrika geborene Regisseur das Tabuthema AIDS in den Mittelpunkt. Im Gespräch äußert Oliver Schmitz sich zu Hoffnungsphantasien und Hohelieder.
Wie wurden Sie auf das Thema aufmerksam?
Ich bin auf das Buch durch meinen Produzenten Oliver Stoltz aufmerksam geworden. Wir hatten uns schon mal getroffen und wollten gerne was zusammen machen. Das Thema für mich war die Mutter-Tochter-Beziehung. Dass die Tochter gegen so viele Hindernisse für die Mutter kämpft, in einer Gesellschaft, die total das Thema AIDS tabuisiert. Aber für mich war das Wichtige an der Geschichte, wie sehr diese Beziehung zur Mutter bis ins kleinste Detail beschrieben wird.
Im Roman ist Chanda 16, im Film 12. Die Hauptdarstellerin ist 13. Die Verjüngung lässt es unwahrscheinlicher erscheinen, dass Chanda als Kind dies alles bewältigt. Warum diese Änderung?
In Südafrika ist es unwahrscheinlich, dass ein 16-jähriges Mädchen nicht über das Thema AIDS Bescheid weiß. Deswegen war es für mich eine sehr wichtige Entscheidung sie jünger zu machen. Wir bekamen das in unserer Recherche bestätigt. Zum Beispiel ein 14-jähriges Mädchen, die drei Jahre auf zwei junge Geschwister aufpassen muss, weil die Eltern verstorben waren. Und es war kein Einzelfall.
Chanda erreicht fast Übermenschliches, Man sieht sie niemals scheitern. Stattdessen rettet sie sogar ihre Freundin.
Was Chanda und auch die Darstellerin zu dem Film bringt, ist eine unglaubliche Ruhe und stille Kraft, die sie durch alles trägt. Sie ist die einzige, die gerade einen Weg geht.
Das Filmende mit einem gospelähnlichen Lied ist äußerst optimistisch.
Das realistische Ende wäre, einen Prolog zu machen. Das Buch hat das versucht, das zu machen. Ich glaube, im Roman, innerhalb einer literarischen Struktur, funktioniert das sehr gut. Ich habe ganz bewusst eine Wahl getroffen: dass es kein realistisches Ende ist, sondern ein symbolisches. Das Lied vom Anfang verkörpert, was als Schluss für den Film kommt, was auch zum Teil mit dem Glauben und den religiösen Werten der Gesellschaft zu tun hat: dass es die Möglichkeit einer Erlösung gibt.
Ist für Sie die Moral des Films, dass etwas besseres möglich sei?
Es steckt womöglich in mir was drin, dass ich mir wünsche und glaube, dass es eine bessere Welt in unserer Gesellschaft geben kann. Moralisch gewesen wäre, mit dem Zeigefinger darauf zu zeigen und eine Polemik aus dem Thema AIDS zu machen.
Sie schneiden auch das Thema Kinderprostitution an durch Chandas Freundin Esther.
In dem Roman kommt Esther von der Gesellschaft immer mehr ab, weil sie ausgegrenzt wird. Dass das überhaupt möglich ist und dass die Erwachsenen es zulassen, ist schockierend. Obwohl ein Kind keine Schuld hat an dem, was passiert ist. Es kann keine moralische Begründung dafür geben, dass Eltern an AIDS gestorben sind. Das ist inkorrekt, die ganze Glaubensstruktur. Was Esther verkörpert in dem Roman ist das Schlimmste, was passieren kann, und das Schlimmste, was mit Chanda passieren könnte.
Ist Esther Chandas Spiegelbild, das zeigt, wie Elend korrumpieren kann?
Esther hat unheimliche Stärken in ihrer Freundschaftsbeziehung mit Chanda. Die Stärke, die Freundschaftsgefühle, was in der Freundschaft der beiden passiert, ist wahnsinnig wichtig. Esther hat beides, Schwächen und Stärken.
Wie viel haben Sie über ihre Thematik recherchiert?
Ich komme aus Südafrika und ich habe diese ganzen 20 Jahre – oder die 15 Jahre – die intensive Geschichte der AIDS-Thematik mitgemacht. Ich habe gesehen, wie viele Leute sterben. Freunde von mir sind auch gestorben. Das Buch hat einfach vieles wieder in Erinnerung gebracht. Es ist ein Thema, was mir wahnsinnig nah kommt. Und es war auch ein wichtiger Einblick in die Welt von Kindern, denen alles fehlt, die alles verloren haben, um die Figur von Chanda zu verstehen. Was für sie auf dem Spiel steht und mit welchen existenziellen Lebensfragen sie sich auseinandersetzen muss. Für mich war das wahnsinnig wichtig, um die Geschichte zu erzählen. Die Geschichte spielt sich im südlichen Afrika ab. Sie ist ganz spezifisch in einer Gesellschaft vor Ort gemacht, wie sie nur in diesem Ort sein könnte.
Sie haben das Thema Kindersoldaten verfilmt, nun AIDS. Arbeiten Sie schon an neuen Projekten?
Also, ich mach verschiedene Sachen. Ich dreh gerade in Berlin was und ich hab auch schon verschiedene Sachen aus Südafrika angeboten gekriegt.
Denken Sie, ihr Film trägt dazu bei, das AIDS-Tabu zu brechen? Oder kann ein Film oder Buch dies gar nicht ändern?
Es wäre sehr prätentiös als Filmemacher zu denken, dass man die Welt ändern kann. Aber ich denke, wichtig ist, ist dass die Emotionalität der Hauptfigur einen neuen Blick auf das Thema bringen kann. Dass man sich einen Moment überlegt: Was wird mit den ganzen Kindern? Wenn man sich überlegt, dass es mindestens 800.00 solcher Kinder gibt, gibt es viel darüber nachzudenken.
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