Das Amüsanteste an Marc Turtletaubs dritter Regiearbeit ist womöglich, wie sehr sie dem (original)titelgebenden Schlüsselcharakter ähnelt: Eine nostalgische Science-Fiction-Schöpfung, die bei aller Fremdartigkeit so bescheiden und beruhigend wirkt, dass man sie unwillkürlich mit persönlichen Projektionen ausstattet – ob diese tatsächlich vorhanden sind oder nicht. Genauso verfährt das gealterte Figuren-Trio mit dem extraterrestrischen Gast (fabelhaft: Jade Quon), der eines Nachts in den Azaleen des an Alzheimer erkrankten Rentners Milton Robinson (Ben Kingsley) landet – mit eigenem UFO.
Miltons freimütige Berichte über seinen neuen Mitbewohner, der sich ausschließlich von Äpfeln ernährt während er an sein Raumschiff im 50er-Retro-Design repariert, finden wenig Beachtung. Doch schließlich begegnen auch Seniorinnen Sandy (Harriet Sansom Harris) und Joyce (Jane Curtin) dem Alien, dessen schweigendes Zuhören ihn zu einem Carson-McCullers-artigen Protagonisten macht. Dabei beschäftigen sich der Regisseur und Drehbuchautor Gavin Steckler lediglich mit einem der zeitkritischen Themen der Autorin, nämlich sozialer Isolation. Auf die verweist bereits der Nachname Miltons.
Sein einziger verbliebener Kontakt ist seine Tochter Denise (Zoe Winters), die seine Ufo-Storys für Symptome fortschreitender Umnachtung hält. Einsamkeit in einer technisierten Ära wachsender zwischenmenschlicher Entfremdung verbindet die menschlichen Figuren nicht nur miteinander, sondern ihrem gestrandeten Besucher. Seine Präsenz offenbart die Bedeutung grundlegender Gesten der Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Fürsorge, die – nach den skeptischen Nachfragen Dritter bezüglich „illegal aliens“ zu urteilen – die Erdbewohnenden nichtmal untereinander pflegen. Nicht nur das macht den alternativen Titel zu bittere Ironie.
Mit der Selbstverständlichkeit seines exzentrischen Hauptcharakters inszeniert Marc Turtletaub eine ebenso wundersame wie warmherzige Sci-Fi-Story über Nähe und Distanz individueller und intergalaktischer Art. Die unaufgeregte Erzählweise und dezenter Humor korrespondieren mit der unaufdringlichen Message vom Mangel zwischenmenschlicher Aufmerksamkeit in einer Ära beständiger Reizüberflutung. Im differenzierten Schauspiel und beiläufigen Anspielungen auf Weltliteratur von The Heart is a Lonely Hunter über Paradise Lost bis zu Robinson Crusoe offenbaren sich melancholische Zwischentöne, die länger nachwirken als spektakuläre Effekte.
- OT: Jules
- Director: Marc Turtletaub
- Screenplay: Gavin Steckler
- Country: USA
- Year: 2023
- Running Time: 87 min.
- Cast: Ben Kingsley, Harriet Sansom Harris, Jane Curtin, Teddy Cañez, Narea Kang, Edward James Hyland, Blair Baker, Joshua Moore, John Skelley, Christopher Kelly, Zoe Winters, Jade Quon, Aubie Merrylees, Andy Daly, Anna George, Eric T. Miller
- Image © Neue Visionen Filmverleih