Was geschehen ist, sei falsch, es dürfe nicht noch mal passieren, sagt die mittelalte Protagonistin Nina Knags ambitionierten Regiedebüts in einer fast schon obligatorischen Szene der moralischen Grenzsetzung: für sich selbst, für den gerade volljährigen Partner ihrer heimlichen Liaison, und für das Kinopublikum, das sich daran unterhält. Aber natürlich passiert es wieder, und die Oberschullehrerin und Bürgermeistergattin (Pia Tjelta) kann die Finger nicht von dem auf seine Aufenthaltsbewilligung hoffenden Amir (Tarek Zayat) lassen. Und es sei auch nicht falsch – suggerieren zumindest die Inszenierung und Dramaturgie.
In dieser scheinheiligen dramaturgischen Dialektik, dass beider Affäre gegen gesellschaftliche Konventionen verstoße, aber doch nicht falsch sei, liegt die Crux des ambivalenten Dramas. Dessen subtil kalkulierte Story gibt dem abgenutzten Trope von der Lehrerin-Schüler-Affäre einen zeitgenössischen Twist. Amir ist geflüchtet, Eva trifft ihn bei der Freiwilligen-Arbeit im Refugee-Lager. Das mehrfache Machtgefälle zwischen beiden ist enorm. Sie hat Vermögen, Status, Staatsbürgerschaft, Sozialprestige, Karriere und Stabilität. Amir hat seine Jugend, gutes Aussehen und dichterisches Talent: Eigenschaften, die ihn zur perfekten Projektionsfläche kolonialistischer Phantasien.
Knag übergeht in dem mit Kathrine Valen Zeiner verfassten Skript das Machtgefälle ebenso wie den verkappten Egoismus ihrer Hauptfigur. Deren humanitärer Einsatz dient mehr ihrem Selbstbild und Image als den Menschen, die sie für ihre Bedürfnisse ausnutzt. Exemplarisch zeigt dies ihre Beziehung zu Amir, den die Kamera Lüstern beläuft und voyeuristisch präsentiert. Die biederen Sex-Szenen verklären mit ihrer synthetischen Erotik das problematische Verhältnis zu Leidenschaft und Zuneigung, ohne Amirs Persönlichkeit und Perspektive in Betracht zu ziehen. Bezeichnenderweise instrumentalisiert auch Knag ihren Filmcharakter auf narrativer Ebene.
Das solide Schauspiel von Tjelta und Newcomer Tarek Zayat schafft nur bedingt Ausgleich für die thematischen Defizite des Plots. Der verliert sich in der zweiten Hälfte in ein konventionelles Beziehungsmelodram, das von der Realität so weit entrückt ist wie die Szenerie. Das wenige, was vom Refugee-Camp zu sehen ist, wirkt geräumig, licht und komfortabel; mehr wie eine Ferienunterkunft als ein Notquartier. Bourgeoise Privilegien und eurozentrische Selbstgerechtigkeit in einer pseudo-postkolonialistischen Welt werden von dem glattpolierten Kino-Debüt weder aufgezeigt noch untersucht, sondern viel mehr verkörpert.
Handwerklich und visuell ist Nina Knags Hochglanz-Drama glattpoliert, moralisch dafür trübe. Der junge Hauptcharakter bleibt eine leere Hülle, auf die sowohl die Protagonistin als auch Regisseurin ihre Bedürfnisse und Begierden projizieren. Emotionale Ausbeutung wird zu Liebe verklärt, bürgerliche Doppelmoral zu Emanzipation umgedeutet. Die zentralen Themen ungleicher Machtgefüge, emotionaler Bedürftigkeit, ethischer Instrumentalisierung und Selbstbetrug werden gestreift, doch nie glaubhaft verhandelt. So wie die Protagonistin sich sozial engagiert, um ihr Selbstbewusstsein und Image aufzubessern, verwendet das selbstgerechte Bildungsbürger-Kino zeitaktuelle Konfliktmotive, um intellektuellen Anspruch und politisches Bewusstseins darzustellen.
- OT: Don’t Call Me Mama
- Director: Nina Knag
- Year: 2025