„Ihr Blut hat die gleiche Farbe“, sagt Jenane (Sprecherin: Suzanna Nour) über Azur (Steven Kyman) und Asmar (Nigel Pilkington), denen sie die gleiche Sage erzählt: von einer Zauberfee, gefangen gehalten im Schwarzen Berg. Mit gleicher Faszination lauschen Azur und Asmar. Azur ist blauäugig, hellhäutig und Jenane seine Amme, Mutter des dunkelhäutige Asmar. Beide verstößt Azurs Vater und schickt seinen eigenen Sohn zu Ausbildung in die Stadt. Als Azur nach Jahren zurückkehrt, ist er ein Fremder in der einst vertrauten Umgebung, deren Anwohner ihn aufgrund seiner Augenfarbe töten wollen. Getarnt als Blinder geht er auf die Suche nach der Fee. Genau wie sein einstiger Kindheitsfreund, der nun sein Rivale ist.
Azur und Asmar ist Ocelots erste Alleinarbeit seit dessen Spielfilmdebüt Kirikou und die Zauberin. Dank dessen Popularität und der der Contes de la Nuit schaffte es nach einem halben Jahrzehnt Ocelots gleichnishaftes Zaubermärchen noch in die Kinos. Der scheinbare Widerspruch von zweidimensionalen Bildern und dreidimensionaler Optik löst sich erst auf, wenn die handgezeichneten Hintergründe auf der Leinwand erstrahlen. Hell und Dunkel verschmelzen zu farbintensiven Arrangements. Die detailliert ausgearbeiteten Szenarien erinnern an bewegte Kollagen, die eine Laterna Magica auf die Leinwand wirft.
Scherenschnittartige Bilder lassen die Charaktere gleich Pop-up-Figuren hervorstechen. Die Protagonisten scheinen sich auf den Szenarien zu bewegen statt darin, gleich Schauspielern, die vor gemaltem Bühnenhintergrund gehen. Der ungewöhnliche Stil verlangsamt den Erzählfluss unweigerlich und Ocelot ist zu fasziniert von visuellen Spielereien, um den Plot voranzutreiben. So gefangengenommen scheint er von seinem süßlichen Fantasiereich, dass er vergisst, es anderen zu öffnen. Mögen die beiden Helden auch durch exotische Landschaften streifen und immer neuen Charakteren begegnen: Ihre epische Suche bleibt eine träge Lektion in Moral. Die wohlfeile Botschaft von Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit von ethnischen Vorurteilen ist mehr Anbiederung als Engagement.
Unter der zeichnerisch und erzählerisch glatten Oberfläche verbirgt die simple Parabel ihre Brüche. Die sich aufdrängende religiöse Problematik ignoriert Ozelot . Identifikationsfigur ist der hellhäutige Azur, dem die arabisch sprechende Bevölkerung ablehnend begegnet. Das Fremde zeigt sich feindselig, verwirrend und beherrscht von irrationalen Ängsten. Weil Azurs blaue Augen von den Anwohnern als Unglücksomen gedeutet werden, ist er gezwungen, eine Augenbinde zu tragen. Vordergründig ist die Sehunfähigkeit Metapher für ethnische (Farben-)Blindheit. Unterschwellig drängen sich Assoziationen mit fundamentalistischen Gesellschaftsstrukturen und archaischen Strafen – Azurs symbolische Blendung – auf. Zuvor Bedienstete, ist Asmars Mutter in ihrem Heimatland urplötzlich Edelfrau.
Proklamatisch vertritt sie eine offene Geisteshaltung. Im Widerspruch dazu steht die an mittelalterliche Ritterepen angelehnte Handlungsstruktur, in der Charakteradel durch Heroismus und Kampfgeist errungen wird. Der belehrende Grundton und pittoreske Monotonie langweilen, während die ambivalente Moral und das naive Happy End irritieren. „Alle Märchen sollen so enden“, sagt einmal die Azur hilfreiche Prinzessin Chamsous Sabah (Fatma Ben Khell). Zum Glück tun sie es nicht.
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