In der Tradition seiner dialogfreien Archiv-Anthologien schafft Maciej J. Drygas eine zeitlose, visuell konzise Bestandsaufnahme der vielfältigen Rolle der Züge im zwanzigsten Jahrhundert. Jene reicht von ihrem Bau und Betrieb bis hin zur Aneignung, Zerstörung und ihrem langsamen Niedergang. Der metikulös arrangierte Katalog schwarz-weißer Archivaufnahmen, die der polnische Regisseur in 45 verschiedenen Arsenalen aufstöberte, entfaltete sich in rhythmischer Wiederholungen und subtilen Variationen. Hoffnungen und Schrecken des Jahrhunderts einer einstmals revolutionären Technik transportieren die historischen Szenen ganz ohne gesprochenen Kommentar.
Drygas, ein erfahrener Spezialist für Archivdokumentationen, fordert volle Aufmerksamkeit für das monoton fortan drängende Werk, das nur selten für zeitpolitische Analysen halt macht. Für die Zusammenstellung wurden nahezu hundert Filmarchive weltweit konsultiert, doch diese Vielfalt schlägt sich nur bedingt in dem stark eurozentrisch Georgien Exposé nieder. Erklärende Texte oder geschichtlicher Kontext fehlen. Einzig ein düsteres Zitat von Franz Kafka zu Beginn schlägt einen reflektierten Ton über Licht und Schatten des Fortschritts an: „Es gibt viel Hoffnung, unendlich viel Hoffnung – aber nicht für uns“.
Dampflokomotiven werden in riesigen Fabriken zusammengebaut, in denen die Arbeitenden nur Handlanger*innen der Maschine sind. Passagiere in großbürgerlicher Montur besteigen Züge, die sie zu kurzen Fluchten aus den rasant wachsenden Metropolen tragen. Der Geist des Neuen und Faszinierenden dieser Mobilität vermittelt sich; indes fehlt jede einschränkende Kritik, die daran erinnert, dass der Luxus der Zugreise vorwiegend ein mittelständisches Privileg war. Ein flüchtiger Blick auf einen Kinowagon – Vorreiter zeitgenössischen Travel-Entertainments – bleibt ein Kuriosum ohne Kontext.
Schon verschiebt sich der Schwerpunkt auf die Rolle der Züge in den Weltkriegen, die in der chronologischen Abfolge den längsten Raum einnimmt. Soldaten besteigen umfunktionierte Güterwagen, Eisenbahn-Geschütze feuern Granaten, und verstörende Bilder von Menschen, die in Viehwaggons in KZs abtransportiert werden, verdeutlichen die thematische Ambivalenz. Manche Aufnahmen sind undurchsichtig, andere überdeutlich, wie ein aus einem Zugabteil winkender Hitler, oder SS-Offiziere. Gegensätzliche Bilder, etwa von Kindern, die Suppe bekommen, neben SS-Offizieren beim Essen, unterstreichen diese ideologische Komplexität.
Mit einer filmischen Chronik aus Archiv-Bildern versucht sich Maciej J. Drygas an einer kinematischen Kontemplation über ein Jahrhundert, dessen Innovation, Konflikte und Zivilisationsgeschichte untrennbar mit den Eisenbahnschienen verbunden sind. Züge sind mal Symbole von Freiheit, mal Werkzeuge des Krieges. Bis zum abrupten Ende; wohl bedingt durch das begrenzte Archivmaterial. Originalton ersetzt eine artifizielle Klangkulisse aus Zuggeräuschen, marschierenden Stiefeln und metallischen Klängen, ergänzt durch das zugbezogene Stück „Compartment 2, Car 7“ Pawel Szymańskis. Visuell umfassenden, doch soziologisch und historisch verkürzt.
- OT: Pociagi
- Director: Maciej J. Drygas
- Year: 2024