Abu Jandal schaut gerade Nachrichten, da sagt sein kleiner Sohn, er möchte Trickfilme gucken. Als der Beitrag vorbei ist, schaltet der Vater um. Tom & Jerry jagen über den Bildschirm. Scheinbar banale Alltagsmomente wie diese werden in Laura Poitras eindringlicher Dokumentation zu Mosaiksteinen eines polarisierenden Charakterbilds. Vier Jahre lang war Jandal Leibwächter Osama bin Ladens. Die Regisseurin begleitet das Al-Quaeda-Mitglied und erarbeitet mittels TV-Interviews, privater Gespräche und Videomaterial einen packenden Grundriss der diffizilen Machtmechanismen zwischen USA und Terrororganisation im Irak.
Gegenwärtig arbeitet Jandal als Taxifahrer. Dass er seine Kinder bedenkenlos die Cartoons der von seinem einstigen Vertrauten ausgerufenen Systemfeinde schauen lässt, ist das harmloseste Paradox in seinem Leben. Jandals Verbindung zum meist gesuchten Terroristen der Welt hatte fatale Folgen. Nicht für Jandal, sondern seinen Bekannten Salim Hamdan. 1996 begegneten sich die Männer im Jemen, wo Jandal Krieger für den Dschihad rekrutierte. Auf einer gemeinsamen Reise durch Afghanistan schlossen sie sich bin Laden an. Jandal wurde sein Leibwächter, Hamdan persönlicher Chauffeur.
Hamdan bleibt in Poitras scharfsichtigem Porträt die Leerstelle im Zentrum. Seine 2001 erfolgte Inhaftierung erscheint als Pyrrhus-Sieg. Wen Unbedeutenderes hätten das Militär fassen können? Hamdans angeblicher Freund und Mitkämpfer Jandal tritt sowohl im arabischen als auch im US-Fernsehen auf, im Bewusstsein seines Nimbus als Vertrauter des Terroristenführers. Dessen Freund nennt er sich nie, doch die Suggestion schwingt beständig in seinen Reden mit. Das nie eingelöste Versprechen, er könne die Persönlichkeit des überlebensgroßen Popanz entschlüsseln, ist sein Trumpf, den er profitreich ausspielt.
Die taktische Mythologisieren macht bin Laden zur zweiten Leerstelle. Dauernder Stellvertreter der Abwesenden ist eine Schlüsselfigur auf dem strategischen Schachbrett. Sein eigentümliches Charisma vermittelt beklemmend die ungebrochene Anziehungskraft des Terrorismus auf Jugendliche. Regelmäßig spricht Jandal mit jungen Männern über den Dschihad und Al Qaeda. Wie könne es Recht gewesen sein, all jene Unschuldigen am 11. September zu töten, fragt ein Zuhörer. Mit simpler, doch effektiver Dialektik überzeugt er Zweifler von der angeblichen Richtigkeit der Anschläge. Sein Sohn geht inzwischen Soda-Pops kaufen.
- OT: The Oath
- Regie: Laura Poitras
- Drehbuch: Laura Poitras
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2010
- Laufzeit: 90 min.
- Beitragsbild © Zeitgeist Films/ Berlinale