And Soon the Darkness: Brad Andersons Horror-Thriller erweckt die Angst vor dem Ich-Verlust als Furcht vor dem eigenen Schatten.
Die Lichter erlöschen im Kino. Doch dieses Mal ist etwas anders bei der Vorstellung. Als das Licht wieder angeht, ist der Saal leer bis auf die in beunruhigend menschlichen Umrissen liegende Kleidung der Zuschauer. Einzig Paul (John Leguizamo), der den Projektor bedient, ist zurückgeblieben. Ein Wachmann, dem er begegnet, glaubt etwas im Schatten zu erkennen und verschwindet darin. Seine Taschenlampe rollt aus der Dunkelheit vor Pauls Füße, als verspotte sie den jämmerlichen Versuch, ihr zu trotzen.
Wenn William Blake recht hatte und manche für die endlose Nacht geboren sind, dann zählen die Filmcharaktere zu ihnen. Ein unerklärlicher Stromausfall hat alle technischen Geräte zum Erliegen gebracht; überall in Detroit, womöglich überall auf der Welt. Wenn die Schatten in der Dämmerung länger werden, strecken sie ihre Hände nach den Menschen aus. Wen sie nicht verschlingen, locken sie in eine heimtückische Umarmung, die mit der eigenen Auslöschung endet. Brad Andersons klaustrophobischer Mystery-Thriller ist im wörtlichen Sinne eine Geschichte aus der Schattenwelt. Die schwarzen Monstren der Kinderzimmerwand haben sich befreit und greifen nach der Existenz der Protagonisten, die sich immer wieder versichern: „I am real.“ Er existiere, weil er sich dazu bringe, erklärt der Nachrichtensprecher Luke (Hayden Christensen), der sich mit einem mit Leuchten besetzten Mantel gegen die Schatten schützt, nachdem er eines Morgens in einem entvölkerten Detroit erwacht ist.
Die versuchte Selbstbehauptung ist vergeblich, weil sie mit einer indirekten Selbstverleugnung einhergeht. Archetypisch ist der Schatten Verkörperung der abgelehnten, unterdrückten Persönlichkeitsanteile. Das aufgrund seiner dissozialen Aspekte ins Unbewusste Verbannte interpretiert das beklemmende filmische Nachtstück als sinnbildliche Dunkelheit, die sich nicht der Gesellschaft unterordnet, sondern sie auslöscht. Auf das übermächtige Negativ des Selbst spielt Anderson an, indem er Die Herrschaft der Schatten mit dem Lichttechniker Paul beginnen lässt. Dessen Tätigkeit am Projektor verweist auf die Übertragung negierter Persönlichkeitsanteile nach außen, auf das eigene Schattenbild. Am deutlichsten repräsentiert Luke diese unterschwellige Zurückweisung des Es. Der selbstbezogene Luke fragt die anderen Überlebenden, was die Menschen getan hätten, um ihr Schicksal zu verdienen. Während er zu widerlegen versucht, dass die Finsternis eine höhere Strafe sei, eine biblische Plage, bezeichnet er sie indirekt als solche. Die Schuldfrage projiziert Luke auf die gesamte Menschheit. Tatsächlich aber wohnt die Finsternis in der Seele von jeder der einzelnen Figuren, wie besorgt oder tapfer sie auch sein mögen. Denn wo Licht ist, ist auch Schatten.
Doch Andersons in spukhaftes Halbdunkel getauchtes Schattenspiel ist nicht apokalyptisch, sondern post-apokalyptisch. Die Handlung ist ein großteils auf eine schummerige Bar beschränktes Kammerspiel, in dessen Zentrum der Schrecken steht, die letzten Menschen auf Erden zu sein. Die Angst vor der Dunkelheit verknüpft sich raffiniert mit einer anderen universellen Furcht, der vor dem Alleinsein. Gleich verschreckten Kindern rücken Luke, Rosemary (Thandie Newton), die ihr Kind sucht, und der zwölfjährige James (Jacob Latimore), der vergeblich auf seine Mutter wartet, in der Bar an der 7th Street zusammen und lauschen der unheimlichen Legende, die Paul erzählt: von Roanoke, der verlorenen Kolonie in North Carolina, deren Einwohner im 16. Jahrhundert spurlos verschwanden wie die Besatzung der Mary Celeste. Nur ein Wort blieb von ihnen: Croatan. Seine Bedeutung sei unbekannt, behauptet Paul, obwohl Croatan sowohl eine Insel als auch ein Volk bezeichnet. Seiner Bedeutung beraubt, ist der Begriff doppeltes Symbol für den Identitätsverlust, den die Figuren fürchten.
„Croatan war eine Warnung!“, erkennt Paul. Bittere Ironie dieser Warnung ist, dass sie gleich den Protagonisten schon zu schemenhaft geworden ist, um zu wirken. Dass sie ihr eigenes Verschwinden nicht bemerken, besiegelt die Übermacht des schemenhaften Grauens. Der Hoffnungsschimmer, der die kindlichen Überlebenden umfängt, bietet trügerischen Schutz gegen die Monster aus Schatten, die ihre einzigen Begleiter in der menschenleeren Dunkelheit sind.
Hey now, all you childrenLeave your lights on, you better leave your lights on
Santana
- Beitragsbild © Koch Films