Die lebensunfähige Lethargie im Zentrum Akira Kurosawas sozialkritischer Sterbestudie Ikiru, die Oliver Hermanus‘ erbaulicher Elegie als Vorbild dient, spiegelt sich weniger in Plot und Figuren als in der inszenatorischen und narrativen Unentschlossenheit. Wie der gleichsam desillusionierte und desinteressierte Verwaltungsbeamte Williams (Bill Nighy) begnügt sich das romaneske Remake damit, seine Nische vorbildlich auszufüllen, nachdem einige zaghafte Versuche der Emanzipation versanden. Von einer fatalen Krebsdiagnose aus seiner apathischen Arbeitsroutine gerissen, sucht der emotional isolierte Protagonist in Begleitung des Zufallsbekannten Sutherland (Tom Burke) Striptease-Shows und Bars vergeblich nach Erfüllung. Jene ersehnte Sinnhaftigkeit findet er unverhofft auf Arbeit im persönlichen Engagement für den Bau eines Spielplatzes.
Letzter ist auch bei Hermanus‘ Ort der sentimentalen Schlüsselszene, die Kazuo Ishiguros Drehbuch in Kontrast zu Kurosawa als tränenreichen Triumph darstellt. Die Verlagerung der Gegenwartshandlung in die 50er und dramaturgische Fixierung auf den von Nighy mit stoischer Schwermut gespielten Hauptcharakter verwässern zusätzlich die spitzfindige Systemkritik des Originals. Dessen von pessimistischen Pointen untermauerte Vorführung einer bleiernen Bürokratie, die ihre Handlanger abstumpft, weicht einer pathetischen Persönlichkeitsskizze. Darin vergiftet nicht die behördliche Maschinerie die Menschen, sondern krankt am Motivationsmangel von Mitarbeitern wie dem von Harris treffen „Mr. Zombie“ getauften Williams: ein Wiedergänger von Stevens aus Remains of the Day, befangen von melancholischer Monotonie.
Der pragmatische Pessimismus Akira Kurosawas Klassikers ersetzt eine melodramatische Mischung aus Rührseligkeit und Romantik, die mehr als sozialpädagogisch denn sozialkritisch auftritt. Bill Nighys anrührende Darstellung trägt die nah am Kitsch konstruierte Story, die auf die existenzialistischen Fragen der filmischen Vorlage allzu simple Antworten gibt. Das stereotype Szenenbild und die adretten Kostüme verstärken die pittoreske Künstlichkeit des gediegenen Grabgesangs, dessen beschauliche Botschaft das fatalistische Fazit des Originals konterkariert.
- OT: Living
- Director: Oliver Hermanus
- Screenplay: Akira Kurosawa, Kazuo Ishiguro
- Country: UK
- Year: 2022
- Running Time: 102 min.
- Cast: Alex Sharp, Adrian Rawlins, Hubert Burton, Oliver Chris, Bill Nighy, Michael Cochrane, Anant Varman, Aimee Lou Wood, Zoe Boyle, Lia Williams, Jessica Flood, Jamie Wilkes, Richard Cunningham, John Mackay, Ffion Jolly, Celeste Dodwell
- Release date: 18.05.2023
- Image © Sony