Die Risse in ihrem Inneren seien mit Gold gekittet, sinniert die junge Hauptfigur Denise Fernandes bittersüßer Ballade während des parabolischen Prologes, der dem Geschehen gleich einer offenen Rahmenhandlung vorangestellt ist. Der Vergleich mit der japanischen Kunstform Kintsugi ist mehr als ein Vorgeschmack auf die beiläufige Poesie, die den Dialogen des enigmatischen Spielfilmdebüts bisweilen die rezitative Resonanz eines klassischen Bühnenstücks geben. Es ist ein subtiler Hinweis auf den bedrückten Unterton der idyllischen Szenarien zwischen Traum und Erinnerung.
Beider fließender Übergang ist Teil der kritischen Distanz, mit der sich die Regisseurin und Drehbuchautorin trotz ihrer persönlichen Nähe zum Geschehen davor bewahrt, in jene Art verträumter Vergangenheitssehnsucht zu gleiten, in der sich die erwachsene Protagonistin (Daílma Mendes) zu Beginn verliert. Der filmische Blick auf die trügerisch unbeschwerte Kindheit Nanas (Sanaya Andrade), die bei Tante und Onkel auf Cap Verde aufwächst, wird gezielt durch dissonante Untertöne relativiert. Die Geschichte einer Kindheit ist tatsächlich der Wunsch einer solchen.
Dass selbst dieser sehnsüchtige Surrealismus nie ganz unbeschwert ist, zeigt die unerklärte Abwesenheit ihrer Mutter Nia (Alice Da Luz). Zugleich erinnern der Wegzug befreundeter Anwohnender an ökonomische Herausforderungen, die sich der kindlichen Wahrnehmung entziehen. Wenn Nana sagt, dass sie bleiben möchte, dann nicht auf dem kargen Inselort, sondern in der von Spielen, Familienzusammenkünften und Abenteuerausflügen bestimmten Kindheitswelt. Jene Kluft zwischen Realität und der wörtlich märchenhaften Szenerie markiert die Brüche, die eine erwachsene Nana zeichnen.
Mittels magisch-realistischer Bildsprache und naturalistischem Schauspiel macht Denise Fernandez lyrisches Langfilm-Debüt die kindliche Wahrnehmung mit ihrer individuellen Mischung aus Naivität, Sensibilität und Imagination physisch greifbar. Verdrängung und Verklärung der eigenen Vergangenheit manifestieren sich als physischer Ort, an dem sich alle ungeachtet sprachlicher Unterschiede verstehen und Mensch und Natur in Einklang leben. Das kritische Bewusstsein der Unwirklichkeit macht die verspielten Vignetten zum melancholischen Mosaik, dessen von Magritte und Chirico inspirierten Kulissen mit ihrer assoziativen Atmosphäre bestechen.
- OT: Hanami
- Director: Denise Fernandes
- Screenplay: Denise Fernandes, Telmo Churro
- Year: 2024
- Distribution | Production © Alina Film | Swissfilm