Noch harscher als die karge Landschaft der tunesischen Wüste, die Lotfi Achour zur malerischen Kulisse seines zweiten Spielfilms macht, ist die Welt, in der seine jungen Charaktere aufwachsen. Wenn die brutalen Umstände es zulassen. Für Nizar ist das nicht der Fall. Ein verbotener Ausflug zu einer Wasserstelle, an der er und sein Cousin Achraf ihre Ziegen tränken wollen, endet mit einem Überfall und einer blutigen Botschaft. Der Gang zurück führt Achraf ans Ende seiner Kindheit.
Letzte ist schon vor dem grausigen Vorfall, der die symbolreiche Handlung in Gang setzt, geprägt von Härte und Entbehrung. Die Schule musste der 13-Jährige Protagonist abbrechen, um seiner Mutter zu helfen. Mit den übrigen Verwandten ihrer verzweigten Familie leben sie im Schatten von Staatsmacht und Terroristen, die auf unterschiedliche Weise bedrohlich auftreten. Einen Moment trügerischer Unbeschwertheit beendet wie aus dem Nichts der Angriff einer Gruppe, die Achraf befiehlt, den Kopf seines Cousins dessen Familie zu bringen.
Ein Szenario wie aus einem Mafia-Thriller, unerwartet brutal für eine Coming-of-Age-Story. Jene inszeniert der besonders für seine Theaterarbeit bekannte Regisseur und Co-Drehbuchautor dennoch voller Sensibilität und Sinnbilder, deren magische Metaphorik nicht nur den Figuren, sondern auch dem Publikum das Geschehene erträglich macht. Der phantastische Filter dämpft den Schrecken, ohne ihn zu bagatellisieren und zeigt in Nizars geisterhafter Gestalt einen Weg zur Verarbeitung des Traumas. Doch die wahren Begebenheiten, auf denen die Geschichte basiert, lassen wenig Raum für Hoffnung.
Eine Kernfrage Lotfi Archours beklemmenden Jugenddramas ist die nach dem Bewahren von Menschlichkeit und kindlichen Träumen in einem umbarmherzigen Umfeld. Dessen archaische Aggression steht im Kontrast zur Empathie der Hauptcharaktere an der Schwelle verfrühten Erwachsenseins. Das intuitive Schauspiel der jungen Darstellenden ist wie geschaffen für die rohen Emotionen der Figuren, deren innere Stärke als positives Gegenstück der erfahrenen Gewalt erscheint. Imposante Naturaufnahmen entfalten eine unterschwellige psychologische Allegorik, die den rauen Realismus nicht dämpft, sondern komplettiert.
- OT: Les enfants rouges
- Director: Lotfi Achour
- Screenplay: Lotfi Achour, Natacha de Pontcharra, Doria Achour, Sylvain Cattenoy,
- Year: 2024
- Distribution | Production © La Luna Productions